Gabi Dürig verbrachte im Februar 2013 mit ihrer Familie Skiferien in Grindelwald. Als sie einer Skischulklasse ausweichen musste, blieb sie mit dem rechten Ski in einem Schneehaufen hängen. Sie stürzte, aber die Bindung öffnete sich nicht. «Ich spürte einen stechenden Schmerz im Knie», sagt die 56-Jährige aus Gockhausen ZH. «Obwohl mein Kniegelenk nicht mehr stabil war, fuhr ich vorsichtig ins Tal.» Die Untersuchung im Bethanien-Spital in Zürich zeigte: Das Kreuzband im Kniegelenk war angerissen, ein Seitenband ganz gerissen.
Wenn Skifahrer verunfallen, ist oft das Knie betroffen. Eine Suva- Hochrechnung der Unfallzahlen von Berufstätigen zeigt: Pro Jahr passieren rund 3000 Kreuzbandschäden beim Skifahren – Tendenz steigend. Suva-Sprecherin Barbara Senn vermutet, das liege auch am Aufkommen der Carvingski in den letzten Jahren. Spitalärzte operieren etwa jeden zweiten Patienten. Das zeigt eine Auswertung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Doch Fachleute sagen: Die Operation am Kreuzband bringt keine Vorteile. Das Expertengremium «Swiss Medical Board» empfahl schon 2009, auf solche Knieoperationen zu verzichten und den Betroffenen nur Physiotherapie zu verschreiben (Gesundheitstipp 2/2013). Ohne Operation heile das Knie schneller und die Stabilität sei «in vielen Fällen» befriedigend. Zudem komme es nicht häufiger zu Arthrose – eine gefürchtete Unfallfolge. Letztes Jahr schrieb auch die unabhängige Cochrane- Forschergruppe in einer Übersichtsstudie, operierte Kniegelenke seien nicht beweglicher oder stärker belastbar.
«Eine Operation zerstört wichtige Nerven»
Auch der Winterthurer Kniespezialist Luzi Dubs rät von der Operation ab: «Es geht den Patienten eher besser, wenn sie sich nicht operieren lassen.» Die Operation schädige den Körper zusätzlich. Der Chirurg entfernt eine Sehne aus dem Oberschenkel und macht Bohrkanäle durch die Knochen des Kniegelenks. «Dabei werden wichtige Nerven im Knie zerstört», sagt Dubs. Er führt seit 20 Jahren keine Kreuzbandoperationen mehr durch: «Ich mache keine Eingriffe, bei denen nicht sicher ist, dass sie den Patienten nützen.»
Das gilt auch für verunfallte Sportler. Zwar empfehlen Chirurgen Patienten, die viel Sport treiben, immer wieder den Eingriff. Der orthopädische Chirurg Andreas Krüger aus Zürich sagt: «Sportarten wie Tennis, Fussball oder Volleyball belasten die Kniegelenke stark. Für solche Patienten ist eine Operation die bessere Lösung.» Denn sie erhöhe die Stabilität des Kniegelenks und verringere das Arthrose-Risiko.
Neue Forschungsresultate zeigen jedoch ein anderes Bild. Luzi Dubs wertete internationale Studien mit insgesamt rund 1800 Patienten aus. Dabei fand er heraus: Alle Patienten können nach dem Unfall weniger gut Sport treiben – egal, ob sie sich operieren liessen oder nicht. Deshalb sagt Dubs: «Die Aussage von Chirurgen, dass ehrgeizige Sportler mit einer Operation besser fahren, ist nicht mit Studien belegt.» Nur der Schweregrad der Verletzung bestimme, wie gut sich das Kniegelenk erhole und ob eine Arthrose entstehe – ein chirurgischer Eingriff ändere daran nichts.
Physio und Krafttraining brachten den Erfolg
Gabi Dürig entschied sich schliesslich gegen die Operation. «Ich nehme meine Gesundheit lieber selbst in die Hand», sagt sie. Nach dem Unfall ging sie fast ein Jahr lang in die Physiotherapie. Zwei- bis dreimal pro Woche machte sie Übungen und Krafttraining, um das betroffene Knie mit stärkeren Muskeln zu stabilisieren. «Jetzt kann ich wieder skifahren und langlaufen», freut sie sich. «Ich fahre jetzt aber vorsichtiger.»
Chirurg Andreas Krüger entgegnet, die Cochrane-Übersichtsstudie sei zu wenig aussagekräftig, denn sie umfasse nur 120 Patienten. Krüger räumt ein, Patienten könnten auf die Operation verzichten, wenn nur das vordere Kreuzband verletzt und keine anderen Teile des Kniegelenks geschädigt seien.
Ein Mediensprecher der Berner Lindenhof-Spitalgruppe sagt, viele Patienten, die anfänglich nur mit Physiotherapie behandelt worden seien, habe man später doch noch operieren müssen. Dies gehe ebenfalls aus der Cochrane-Übersichtsstudie hervor. Deshalb sei es falsch, Physiotherapie als alleinige Behandlung zu empfehlen. Ein Sprecher der Hirslanden-Privatkliniken teilt mit, die Situation müsse man bei jedem Patienten individuell beurteilen. Die Wahl der Therapie sei abhängig vom Alter, von allfälligen Begleitverletzungen und von den sportlichen Aktivitäten, die Patienten ausüben möchten.
Tipps: So vermeiden Sie Knieverletzungen beim Skifahren
- Wählen Sie einen Ski, der Ihren Fähigkeiten entspricht. Lassen Sie sich in einem Sportfachgeschäft beraten.
- Überprüfen Sie Ihre Skiausrüstung vor der Saison. Ersetzen Sie abgenützte Teile. Die Sohle der Skischuhe sollte nicht abgelaufen sein.
- Lassen Sie Ihre Bindung regelmässig in einem Sportgeschäft mit einem speziellen Prüfgerät kontrollieren und einstellen.
- Passen Sie das Fahrtempo Ihrem Können sowie den Wetter- und Pistenverhältnissen an.
- Verbessern Sie Ihre Technik mit einem Kurs in einer Skischule.
- Auf der Internetseite www.suva.ch/schneesportcheck können Sie Ihr Unfallrisiko und durch ein paar vorgegebene Übungen Ihre Fitness testen.