Die deutsche Firma Abtei wirbt, ihre Mariendistelkapseln würden den Stoffwechsel der Leber unterstützen. Auch andere Hersteller von Präparaten mit Mariendistel betonen den gesundheitlichen Nutzen für die Leber. Denn die Pflanze enthalte viel Silymarin. Laut Hersteller Tentan schützen die Mariendistelkapseln Bilifuge die Leber vor Giften und sollen die Regeneration der Leberzellen fördern.
Die Wirkung solcher Präparate ist allerdings umstritten. Denn Silymarin wirkt nur beschränkt. Der Stoff kann zwar tatsächlich das Erneuern von Leberzellen fördern und die Leber vor giftigen Stoffen schützen, wie Untersuchungen belegen. «Allerdings nur», sagt der Heilpflanzenexperte Martin Koradi aus Winterthur ZH, «wenn der Stoff dem Körper in hoher Dosierung zugeführt wird.»
Die Dosis ist oft viel zu niedrig
Produkte, die man ohne Rezept kaufen kann, enthalten oft weit weniger des nötigen Werts von 200 bis 400 Milligramm Silymarin pro Tag. So enthält eine Mariendistel-Tablette von Allsan lediglich 21 Milligramm Silymarin. Koradi sagt: «Es ist nicht klar, ob eine so kleine Menge der Leber hilft.» Tee aus Mariendisteln nütze kaum, da sich Silymarin schlecht im Wasser löse. Auch in Tinkturen sei die Konzentration zu niedrig.
Dazu kommt: Ist die Leber bereits stark geschädigt, beispielsweise durch Alkohol, nützt die Mariendistel nichts. Koradi: «Die Pflanze kann eine kaputte Leber nicht heilen.» Das bestätigen Wissenschafter des unabhängigen Netzwerks Cochrane. Sie überprüften mehrere Studien und kamen zum Schluss: Haben zu viel Alkohol oder Hepatitis-Viren die Leber bereits geschädigt, ist der Nutzen von Mariendistel nicht erwiesen.
Für die Leber preisen Hersteller auch Säfte und Kapseln mit Bitterstoffen an. Meist enthalten diese Produkte Artischocke oder Löwenzahn. So sollen etwa der Saft des Herstellers Dr. Dünner AG und die Artischockenkapseln der Drogerie Würzenbach eine natürliche Hilfe für die Leber sein.
Das stimme nicht, entgegnet Experte Martin Koradi. Bitterstoffe könnten zwar die Produktion von Gallensaft und das Entleeren der Gallenblase fördern. Doch das helfe nur beim Verdauen von Fetten: «Der Leber nützt das kaum.»
Grapefruit-Öl-Kur: Fachleute raten ab
Verbreitet ist zudem die Idee, dass man die Leber reinigen und entgiften müsse. Das Argument: Über die Jahre würden sich dort Giftstoffe ablagern. So schreibt die Drogerie Im Dorfgässli in Hünenberg ZG auf ihrer Website: «Jeder muss seine Leber regelmässig reinigen.» Die Homöopathin Manuela Wüest Stimming aus Buchrain LU sagt, der Gallensaft, der in der Leber produziert wird, könne kristallisieren. So würden sich Gallensteine bilden. Das verursache Probleme mit dem Verdauen, und in der Leber könnten sich Giftstoffe anreichern. Deshalb müsse man das Organ reinigen.
Die Naturheilpraxis Tiefenau in Zollikon ZH rät gar zu einer zweitägigen Kur: Bittersalz soll den Verdauungstrakt säubern und eine Mischung aus Grapefruitsaft und Olivenöl schliesslich die Leber reinigen. Der Vorgang sei völlig unbedenklich und solle zweimal jährlich durchgeführt werden. Mit dem Stuhl würden die Gallensteine ausgeschieden. Auch andere Heilpraxen empfehlen die Grapefruit-Öl-Kur.
Doch Fachleute winken ab: Man könne die Leber nicht reinigen. Der Leberarzt Klaus Wehr aus Zürich sagt, wenn die Leber nicht richtig funktioniere, sei eine Krankheit dafür verantwortlich. Zum Beispiel ist dann das Gewebe entzündet. Auch Martin Koradi sagt: «Man macht den Leuten etwas vor, wenn man ihnen verspricht, das Reinigen der Leber habe einen Nutzen.»
Bereits vor etwa zehn Jahren hatte der Arzt Nils Ewald vom deutschen Universitäts-Klinikum Zweifel an der Grapefruit-Öl-Kur und probierte sie selber aus. Er fand im Stuhl grün-gelbe, steinartige Gebilde und liess sie in einem Labor untersuchen. Dabei stellte sich heraus: Es waren keine Gallensteine, sondern Klümpchen aus Olivenöl und Grapefruitsaft.
Das Einzige, was der Leber hilft, ist eine Lebensweise, die der Leber keinen Schaden zufügt. So sollte man beispielsweise wenig Alkohol trinken, denn das Risiko für Leberkrankheiten ist bereits erhöht, wenn man täglich 5 Deziliter Bier oder 2 Deziliter Wein trinkt (Gesundheitstipp 1/2018). Auch sollte man nicht unnötig Medikamente einnehmen. Denn sie werden häufig über die Leber abgebaut und belasten das Organ.
Das sagen die Hersteller
Das Unternehmen Abtei schreibt, die Wirkung der Silymarin-Kapseln beruhe auf der Kombination von Mariendistelöl, Artischocke und Vitamin E. Tentan, Herstellerin der Bilifuge-Kapseln, löschte nach der Anfrage des Gesundheitstipp die Beschreibung auf der Website. Die Kapseln sollen jetzt nur gegen Verdauungsbeschwerden helfen. Die Drogerie Würzenbach sagt, die Bitterstoffe in der Artischocke hätten Eigenschaften, die sich positiv auf die Leber und die Gallenblase auswirkten. Die Wirkstoffe würden den Gallenfluss anregen und helfen, Fett zu verdauen. Die Drogerie Im Dorfgässli schreibt, beim Reinigen der Leber gehe es eigentlich um das Entschlacken. Eine verschlackte Leber könne nicht richtig arbeiten.
René Gallati von der Praxis Tiefenau sagt, er unterstütze das Reinigen der Leber mit Grapefruitsaft und Öl nicht. Das Dokument habe er vor über zehn Jahren von seiner Website gelöscht. Das stimmt zwar, doch bei der Suche im Internet stösst man immer noch auf die alten Inhalte.