Der Arzt Steven Gundry sitzt in einer Talkshow des US-Fernsehsenders «Hallmark Channel». Vor ihm liegt eine Schale mit Lebensmitteln. Gundry zeigt auf eine Tomate und sagt: «Das ist eine Zeitbombe.» Dann weist er auf eine Scheibe Vollkornbrot: «Das ist Gift.» Gundry begründet seine Warnung so: Zahlreiche Gemüse und Getreide enthalten Lektin. Das ist ein Eiweiss, das den Pflanzen als Abwehrstoff gegen Frassfeinde wie Insekten dient. Gundrys These: Weil Menschen grösser seien als Insekten, wirke Lektin erst nach vielen Jahren. Dann löse es Übergewicht, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Arthrose und Diabetes aus. Wer auf Lektin verzichte, werde schlank und bleibe gesund.
Der ehemalige Herzchirurg Gundry verkauft in seinem Internetshop Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel Vitamin D3, Vitamin K2 oder «Gundry Total Restore» mit Magnesium, Zink und weiteren Stoffen. Dieses Präparat soll vor Lektinschäden schützen. Eine Packung für 70 US-Dollar reicht gerade mal für einen Monat.
«Beim Kochen wird das Lektin zerstört»
Auch in Europa verbreitet Gundry seine Theorie. In seinem neuen Buch «Böses Gemüse» führt er Lebensmittel auf, die Lektin enthalten: Gemüse wie Erbsen, Auberginen und Peperoni sowie Reis, Kartoffeln, Teigwaren, Milch und Pflanzenöle. Auf solche Lebensmittel solle man verzichten. Erlaubt sind hingegen Fleisch, Hirse und Blattsalate. Weissbrot sei besser als Vollkornbrot, denn die «schädlichen Lektine» würden in der Schale der Weizenkörner «sitzen», schreibt Gundry.
Fachleute kritisieren seine Thesen. Präventivmediziner David Fäh von der Berner Fachhochschule sagt: «Es ist nicht sinnvoll, generell auf Lebensmittel zu verzichten, die Lektin enthalten.» Denn viele von ihnen seien nachweislich gesund. «Die Gefahr besteht, dass man stattdessen viel rotes Fleisch isst», sagt Fäh. Damit riskiere man Diabetes und Herzkrankheiten. Ernährungsberaterin Beatrice Fischer aus Kehrsatz BE sagt, Lektin sei vor allem in Hülsenfrüchten wie Kichererbsen und Bohnen enthalten. «Beim Kochen wird das Lektin zerstört. Somit ist es für Menschen unbedenklich.»
Hinzu kommt: Gundrys Theorie ist wissenschaftlich nicht belegt. Er stellt sich zwar als «unabhängiger Forscher» dar. Auf seiner Website listet er einige Forschungsarbeiten auf. Doch das sind keine Studien in anerkannten Fachmagazinen, sondern zusammengefasste Resultate, die Gundry an Kongressen zeigte. Sie gelten als wenig aussagekräftig. Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sagt: «Es gibt keine Belege, dass sich Lektin negativ auf die Gesundheit auswirkt.» Auch US-Forscher kritisieren, Gundrys Diät stehe im Widerspruch zu Empfehlungen der Ärzte.
Der Beltz-Verlag, der das Buch herausgibt, sagt, Gundry rate nicht von allen Gemüsesorten ab. Blumenkohl und Rüebli etwa würden kein Lektin enthalten. Viele Patienten hätten von Gundrys Methode profitiert.