Denke ich an meine Erlebnisse in den Bergen zurück, kommen ab und zu schlimme Erinnerungen hoch. Ich verlor drei meiner besten Kollegen bei Bergunfällen. Obwohl diese schon Jahrzehnte zurückliegen, nehmen sie mich immer noch mit. Wenn ich darüber nachdenke, sehe ich die Bilder von damals noch genau vor mir. Dann schiessen mir sofort die Tränen in die Augen, und meine Gefühle überwältigen mich.
Im August 1969 war ich mit einem Kollegen im Wallis unterwegs. Wir kletterten aufs Nadelhorn. Von dort aus sahen wir, wie eine dicke Wolkenwand über das Matterhorn zog. Wir sagten uns noch: Zum Glück sind wir nicht dort drüben. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, dass unsere zwei besten Kollegen genau dort auf einer Tour unterwegs waren. An diesem Tag rutschte einer von ihnen aus und riss den anderen mit. Sie fielen 300 Meter in die Tiefe und landeten in einer Gletscherspalte. Als die Rettungskräfte bei ihnen ankamen, waren sie bereits tot.
Meine Bergpartner sind etwas ganz Besonderes für mich. Auf sie kann ich mich zu 100 Prozent verlassen. Wenn wir früher zusammen auf Klettertour waren, mussten wir uns keine Kommandos zurufen. Wir spürten allein am Seilzug, wann wir aufeinander warten und vorsichtig sein mussten. Wir hatten das Gespür füreinander.
Knapp acht Monate nach dem Unglück von 1969 verlor ich einen weiteren Bergfreund. Wir waren zu dritt eine Woche im Wallis auf Skitour, als das Wetter wechselte. Zweimal wichen wir aus und wählten einen Umweg, um möglichst kein Risiko einzugehen. Trotzdem wurden wir von einer Lawine erfasst. Wir waren schon fast am Ziel, als wir es über uns rumpeln hörten. Ich spürte, dass eine ganze Ladung Schnee auf meinem Rücken landete und mich mitriss. Der Vorderste unserer Gruppe entkam der Lawine knapp, demjenigen in der Mitte brach sie das Genick.
Den Tod meines Bergfreundes nahm ich anfänglich gar nicht wahr. Ich war zu sehr mit mir selbst und meinen Schmerzen beschäftigt. In der Lawine brach ich mir sechs Rippen, das Schulterblatt und ein Schlüsselbein. Auch der Oberschenkel war lädiert. Nach dem Spitalaufenthalt konnte ich kaum 300 Meter weit gehen, ohne mich erschöpft auf die Strasse setzen zu müssen. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis ich wieder in die Berge gehen konnte.
Noch heute muss ich mir immer wieder bewusstmachen, dass ich diesen Unfall nicht verhindern konnte. Was ich dort erlebte, hat mich verändert. Ich bin vorsichtiger geworden und höre stark auf mein Bauchgefühl. Ich nehme kein Risiko auf mich und lasse keine Routine aufkommen. Auch beim Abstieg bin ich stets wachsam und sage mir: Die Tour ist erst fertig, wenn ich zu Hause oder in der Hütte ankomme.
Ich bin immer noch oft in den Alpen unterwegs. Vor kurzem wanderte ich auf den Risetenstock in der Innerschweiz. Es gibt mir eine tiefe Zufriedenheit, wenn ich das Ziel erreiche. Die Berge halten mich körperlich und geistig fit. Auch nach über 60 Jahren kann ich mich an der schönen Aussicht nicht sattsehen.
Bergsteigen: Das Risiko klettert mit
Im letzten Jahr kamen in den Schweizer Alpen 3680 Leute in eine Notlage – so viele wie noch nie. 131 Menschen verunfallten tödlich, die meisten von ihnen beim Wandern in den Sommermonaten Juli und August. Das zeigen Zahlen in der Bergnotfallstatistik des Schweizer Alpen-Clubs (SAC).
Solche Unfälle beschäftigen Angehörige und Freunde oft ein Leben lang. Fachleute empfehlen Betroffenen, das Thema nicht auszublenden und über mögliche Unfälle zu sprechen.
Hilfe und Info
Die Dargebotene Hand, Tel. 143
Schweizer Alpen-Club, www.sac-cas.ch