Experten sind sich einig: Im kommenden Winter wird die Grippewelle weniger schlimm als in früheren Jahren. Der Virologe Cornel Fraefel von der Universität Zürich sagt: «Ich gehe davon aus, dass wir nur relativ wenige Grippefälle haben werden.» Der Grund: Länder der Südhalbkugel wie Australien, Chile und Südafrika verzeichneten vom Juni bis August nur wenige Grippefälle – rund hundertmal weniger als in früheren Jahren.
Deshalb sagt der Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern: «Es ist gut möglich, dass wir auch in der Schweiz relativ wenige Grippefälle sehen werden.» Den Grund dafür sieht Althaus in den Massnahmen gegen das Coronavirus: «Die Reduktion der Kontakte, das Abstandhalten, bessere Hygiene und Masken haben einen direkten Einfluss auf das Verbreiten anderer Atemwegsinfektionen wie der Grippe.»
Damit entfällt nach Meinung von Fachleuten ein weiterer Grund, sich impfen zu lassen. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Es spricht gegen die Grippeimpfung, dass wir im nächsten Winter voraussichtlich keine schwere Grippewelle erleben werden.» Auch der Luzerner Arzt Peter Respondek sagt, das wahrscheinliche Ausbleiben der Grippewelle sei ein weiterer Grund, um auf die Impfung zu verzichten.
Der Nutzen der Grippeimpfung ist sowieso klein. Bei Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren erkranken ohne Impfung 2 von 100 Personen, mit Impfung 1 von 100 (siehe Tabelle im PDF). Geimpfte fehlen nicht weniger am Arbeitsplatz als Nichtgeimpfte und müssen bei schweren Verläufen gleich oft ins Spital. Das zeigt eine grosse Studie mit über 80 000 Teilnehmern, die das Cochrane-Netzwerk dieses Jahr veröffentlichte. Impfexperte Martin Hirte aus München sagt: «Auch für Schwangere und neugeborene Kinder lässt sich kein sicherer Vorteil durch die Impfung belegen.»
Bei Senioren ab 65 Jahren nützt die Grippeimpfung ebenfalls wenig. Sie schützt gerade mal 4 von 100 vor dem Virus. Das zeigte letztes Jahr eine Cochrane-Studie mit über 5000 Teilnehmern.
Impfstoff ist schlecht verträglich
Das Bundesamt für Gesundheit empfahl kürzlich, schon Kinder ab sechs Monaten zu impfen, sofern sie ein erhöhtes Risiko für Komplikationen haben oder wenn sie regelmässigen Kontakt mit gefährdeten Personen haben. Wenn man Kinder impfe, könne man viele Todesfälle bei den Grosseltern verhindern.
Doch Ärzte widersprechen dem Bundesamt. Gesundheitstipp-Arzt Walser sagt: «Kleinkinder sind schon genügend durch Routineimpfungen belastet.» Das könne die Impfmüdigkeit bei Eltern fördern. Deshalb sei es nicht ratsam, sie auch noch gegen die Grippe zu impfen. Und der Arzt Etzel Gysling sagt: «Ob der Nutzen der Grippeimpfung bei Kindern genügend gut nachgewiesen ist, damit sich der Aufwand lohnt, kann bezweifelt werden.» Es sei zudem nicht klar, wie gut die Impfung von Kindern Grippefälle bei Alten verhindern kann.
Wenn Kinder geimpft werden, sinkt das Gripperisiko für Grosseltern bloss um zehn Prozent. Dies zeigte eine Studie des Robert-Koch-Instituts vor drei Jahren. Impfexperte Martin Hirte sagt deshalb: «Man muss den Grosseltern gegenüber kein schlechtes Gewissen haben, wenn Kinder nicht geimpft sind.» Und der Arzt Peter Respondek sagt: «Es gibt keinen Grund, Kinder gegen Grippe zu impfen – mit oder ohne Grippewelle.»
Dazu kommt: Die Grippeimpfung kann Nebenwirkungen haben wie Fieber, Muskelschmerzen und Übelkeit. Das seien typische Coronavirus-Symptome, kommentiert die französische Fachzeitschrift «Prescrire».
Eine kleine Studie der Universität Hongkong mit 115 Kindern zeigt: Kinder, die gegen die Grippe geimpft sind, haben ein dreimal höheres Erkältungsrisiko. Der deutsche Impfexperte Steffen Rabe sagt: «Die Grippeimpfung gehört zu
den am schlechtesten verträglichen Impfstoffen.»
Das Bundesamt für Gesundheit entgegnet, trotz den wenigen Grippefällen im Süden sei es nicht möglich, den Verlauf der Grippewelle in der Schweiz vorherzusagen. Die Grippeimpfung könne dazu beitragen, dass die Spitäler nicht überlastet würden. Sie gelte als sehr sicher.
Die Firma Sanofi schreibt zur Kritik der Ärzte, die Zulassungsbehörde Swissmedic habe bestätigt, dass ihr Impfstoff Kinder und Erwachsene vor einer Grippe schützen könne. Hersteller GSK sagt, renommierte Grippeforscher hätten die Cochrane-Studien zur Grippeimpfung heftig kritisiert. Eine neue Studie zeige, dass die Impfung auch bei Kindern im Alter ab sechs Monaten wirke. Allerdings wurde die Studie vom Hersteller bezahlt und unter Mitwirkung von GSK-Mitarbeitern durchgeführt.
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