Es fängt schon an, wenn ich die Augen bewege: Dann höre ich in mir drin ein lautes, unangenehmes Geräusch. So, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Wandtafel kratzen. Ich nehme alle Vorgänge in meinem Körper akustisch wahr: meinen Herzschlag, meine Knochen, sogar ein Wimpernzucken. Das macht mich manchmal fast wahnsinnig. Dazu kommt der Schwindel. Sobald ich aufstehe, fühle ich mich wie auf einem Schiff, das durch stürmisches Meer fährt. Ich muss mich ständig konzentrieren, damit ich das Gleichgewicht nicht verliere. Deshalb bin ich sehr schnell müde und erschöpft. Gewisse Geräusche von aussen verstärken den Schwindel. Etwa das Quietschen von Zügen. Es gibt aber auch Geräusche, die ich normal höre.
Meine Krankheit heisst Bogengangsdehiszenz-Syndrom (SCDS). Die knöcherne Abdeckung, welche die Bogengänge im Innenohr schützt, ist bei mir löchrig wie ein Emmentaler. Je nach Frequenz nehme ich Geräusche dadurch sehr intensiv wahr. Das zeigt sich zum Beispiel bei Pommes-Chips. Knistert eine Packung, löst das bei mir Schwindel aus. Und essen kann ich die Chips schon gar nicht. Denn das tönt, als würde jemand in mein Gehirn bohren.
Bereits als Kind nahm ich wahr, was in meinem Körper vorgeht, einfach schwächer als heute. Akut wurde die Krankheit vor acht Jahren. Bei der Arbeit bekam ich Schwindelattacken. Ich war im Service tätig, und das schon, seit ich als 18-Jähriger aus England in die Schweiz gekommen war. Ich liebte meinen Beruf. Aber als ich wieder einmal stürzte und mit dem Kopf gegen das Zigarrengestell knallte, sagte ich mir: «Jetzt ist es fertig.» Schlimm war, dass ich nicht wusste, was mit mir los ist. Man schickte mich von Arzt zu Arzt. Bis zur Diagnose hat es nochmals eineinhalb Jahre gedauert. Ich war über 200 Mal im Spital und habe vier Operationen hinter mir. Doch sie haben nichts gebracht.
Zusätzlich belastet mich, dass einige glauben, meine Krankheit sei nur psychisch. Nach dem Motto: Was man von aussen nicht sieht, existiert nicht. Ich brauche kein Mitleid, aber ich will auch nicht verurteilt werden. Tiere sind da oft feinfühliger als Menschen. Die Esel zum Beispiel, für die ich zusammen mit meinem Partner sorge. Sie spüren sofort, wenn es mir schlecht geht. Die Ruhe, die sie ausstrahlen, tut gut. Nicht nur mir, sondern auch anderen, die an einer Krankheit oder Behinderung leiden und ab und zu vorbeikommen.
Geholfen haben mir auch Alternativmethoden wie Homöopathie und Musiktherapie. Dadurch habe ich gelernt, die Krankheit als Teil von mir zu akzeptieren.
Das Bogengangsdehiszenz-Syndrom
Das Bogengangsdehiszenz-Syndrom ist eine seltene Hör- und Gleichgewichtsstörung, die von den Bogengängen im Innenohr ausgeht. Deren knöcherne Abdeckung wird bei Betroffenen immer dünner oder verschwindet sogar ganz.
Forscher beschrieben die Krankheit erstmals 1998. Es ist unklar, ob sie genetisch bedingt ist. Experten nehmen aber an, dass Unfälle im Kindesalter sie auslösen können.
Ein typisches Symptom ist Schwindel. Er kann sich durch bestimmte Geräusche verstärken. Oft ist es für Betroffene schon eine Herausforderung, sich normal fortzubewegen. Zudem nehmen sie Geräusche aus dem eigenen Körper verstärkt wahr und leiden an Ohrdruck und Tinnitus. Eine Operation kann helfen. Dabei ersetzt man die fehlende Abdeckung des Bogengangs ganz oder verstärkt die bestehende.
Information: www.scdssupport.org