Auch die Wirtschaftsbosse spuckten in das Röhrchen von «23 and me». Am Weltwirtschaftsforum in Davos hatte die US-Firma diesen Januar ihren Stand aufgebaut. Als eines der ersten bietet das Unternehmen ein umfassendes Genprofil für jedermann an.
«23 and me» und die Konkurrenzfirma «decodeme» lassen den gläsernen Menschen zur Realität werden: Gut eine halbe Million Genabschnitte untersucht das Labor, die Profile liefern Angaben zu Dutzenden von Krankheiten wie etwa Diabetes, Brustkrebs, Rheuma oder Multiple Sklerose. Daneben liefert die Firma genetische Fakten etwa zu Muskelleistung, der Reaktion auf Alkohol oder der Frage, ob jemand trockenen oder feuchten Ohrenschmalz hat.
58 Krankheiten und Eigenschaften listet die Homepage von «23 and me» – benannt nach den 23 Chromosomen unseres Erbguts – auf, und ständig werden es mehr. Jedes neu entdeckte Gen nimmt die Firma in ihre Datenbank auf, sei es für Lungenkrebs verantwortlich oder fürs hohe Alter. Wer einmal ein Genprofil erstellen liess, kann immer wieder nachschauen, ob er von weiteren genetischen Risiken betroffen ist. Rund tausend Dollar verlangt die Firma für das Genprofil.
Doch das Angebot lässt auch warnende Stimmen laut werden – gerade unter namhaften Genetikern. Einer der Leiter des «Human Genome Project», Francis S. Collins, gab zu bedenken, die Resultate könnten in die falschen Hände geraten: «Man stelle sich vor, ein Arbeitgeber würde die genetische Information verwenden, um jemanden zu entlassen – nur weil er befürchtet, die Person könnte krank werden», sagte er gegenüber der «Washington Post».
Zudem warnt Collins vor dem Irrglauben, das Erbgut bestimme alles voraus. Solches Denken, so Collins, habe zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass Behörden und Ärzte Menschen mit «unerwünschten» Eigenschaften zwangssterilisierten.
Schon heute kann ein Genprofil für den Einzelnen weitreichende Folgen haben. Christoph Rehmann- Sutter, Präsident der nationalen Ethikkommission, sagt: «Es besteht die Gefahr, dass jemand unbedacht ein Genprofil machen lässt und gar nicht weiss, worauf er sich einlässt.» Es könnten Informationen ans Licht kommen, mit denen der Betroffene nicht umgehen könne.
Genprofile sind «potenziell problematisch»
Auch für Genforscher Craig Venter sind Genprofile «potenziell problematisch». Venter war der erste Mensch, dessen Erbgut vollständig entschlüsselt wurde. Gegenüber der «Washington Post» sagte er: «Wenn jemand erfährt, dass er mit 62 Prozent Wahrscheinlichkeit ein ernsthaftes Problem hat – was soll er damit anfangen?»
Der Gesundheitstipp nimmt jetzt die Genprofile unter die Lupe. Er begleitet Silvie Gamez aus Wald ZH und Sven Würsch aus Beckenried NW, die ein Genprofil machen lassen wollen (siehe Porträts weiter unten). Ihre Speichelproben sind bereits im Labor. Der Gesundheitstipp wird die Resultate in den nächsten Ausgaben bekannt geben und die beiden auch danach begleiten.
Was die US-Firma «23 and me» anbietet, ist Schweizer Labors untersagt: Sie dürfen ihre Tests den Konsumenten nicht direkt anbieten. Nur ein Arzt darf einen Gentest veranlassen. Zudem schreibt das Gesetz eine Beratung vor.
Genforscher wissen erst wenig über das Erbgut
Der Gesundheitstipp hat deshalb für Silvie Gamez und Sven Würsch eine ausführliche Beratung organisiert. Hansjakob Müller, Professor für medizinische Genetik an der Universität Basel und einer der bekanntesten Genetiker der Schweiz, wird ihnen helfen, die Resultate zu interpretieren und in ihrer persönlichen Situation die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
«Ich bin froh, dass der Gesundheitstipp dieses Thema aufgreift», sagt Müller. Er befürchtet, dass bald noch mehr Anbieter auf den Markt drängen: «Die Firmen haben grosse Summen investiert. Jetzt wollen die Geldgeber Profite sehen.»
Gleichzeitig steht die Genforschung erst am Anfang. Nur für wenige Krankheiten stehen heute die Gene restlos fest. Die Forscher wissen zwar, welche Krankheiten vererbbar sind. Doch die bisher gefundenen Gene können die Vererbung nur zu einem kleinen Teil erklären. «Manchmal staune ich, wie wenig wir erst über unser Erbgut wissen», sagt Hansjakob Müller.
Klar ist aber: Die Gene bestimmen nichts mit absoluter Sicherheit voraus. Dies hat auch Pionier Craig Venter festgestellt. Laut seinen Genen sollte er problemlos Milch trinken können. Tatsächlich verträgt er aber keine Milch.
«Ich habe bestimmt ein Jungbrunnen-Gen»:
Silvie Gamez (39) sieht die Tests auch als psychisches Experiment
Diese Frau soll 39 Jahre alt sein? Mit ihren pechschwarzen Haaren und dem intensiven Blick sieht sie eher aus wie Ende zwanzig. Das habe sie bestimmt ihren Genen zu verdanken, lacht Silvie Gamez: «In meiner Familie wird nicht so schnell gestorben.» Die Grossmutter wurde 95, noch mit 60 hatte sie kaum graue Haare. «Wenn es ein Jungbrunnen-Gen gibt, dann habe ich es bestimmt», sagt Silvie Gamez.
Für das Genprofil hat sie sich zur Verfügung gestellt, «weil es mich reizt, etwas über mich zu erfahren». Damit meint sie mehr als nur die Geheimnisse, die in den Genen schlummern. «Es nimmt mich auch wunder, wie ich reagiere, wenn der Test ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit anzeigt. Vielleicht wird das zu einer Grenzerfahrung.»
Das Genprofil als Experiment an der eigenen Psyche: Sie weiss, wovon sie spricht, sie hat Psychologie studiert. «Ich bin aber kein esoterischer Psycho-Fuzzi», schiebt sie gleich nach. Nach der Uni jobbte sie in einer Bank – und blieb in der Branche hängen. Heute trägt sie an der Börse in Zürich zum Informationsaustausch in der Finanzwelt bei. Der Job ist streng: Ein Arbeitstag dauert bis zu elf Stunden.
Trotzdem versucht sie, gesund zu leben, geht dreimal die Woche ins Fitnesstraining und isst viel Gemüse, Tofu und Fisch. Fleisch findet sie eklig. Nur Poulet isst sie manchmal, wegen der Eiweisse.
Vor kurzem hat sie geheiratet. Kinder sind keine geplant. Das Paar geniesst die Freiheit, kocht zusammen aufwendig, am liebsten für Freunde, und im November gehts in die Flitterwochen: in eine Strandhütte auf einer einsamen Insel. «Wir werden einen Rucksack voller Bücher mitnehmen und zwei Wochen lang einfach rumhängen», freut sich Silvie Gamez.
«Vielleicht würde ich gesünder leben»:
Sven Würsch (29) will erfahren, was die Genetik heute kann
Auf der Fahrt durch Beckenried NW zeigt Sven Würsch auf ein Mehrfamilienhaus. «Das haben wir gebaut.» Gegenüber steht ein Baugespann: «Und das werden wir auch bald bauen.» Wir, das ist das Architekturbüro seiner Eltern. Schon seit der Matur arbeitet er im Betrieb mit.
Seit letztem Herbst studiert er selber Architektur. Dereinst will er die Arbeit der Eltern fortführen. Doch so gradlinig, wie er erscheint, ist Würschs Werdegang nicht. Nach der Klosterschule in Engelberg geht er zunächst nach Bern, um Medizin zu studieren. Und zwar mit Überzeugung: Er will Hausarzt werden. Am liebsten zu Hause, in Beckenried. Als er das Mitstudenten erzählt, lachen sie ihn aus: «Ein Landarzt!».
Er lässt sich nicht beirren. Auch nicht, als er das erste Jahr wiederholen muss. Er schafft dann die Prüfung, muss auch das zweite Jahr wiederholen und scheitert schliesslich an der zweiten Zwischenprüfung. Aus der Traum.
«Arzt sein ist eine Berufung», sagt er noch heute. Und auf dem Land gibt es zu wenig Hausärzte. «In Engelberg haben sie drei Jahre gesucht», sagt er und schüttelt den Kopf. Wenn er in der Zeitung über Ärztemangel liest, überspringt er den Artikel. Sonst ärgert er sich nur über die verpatzte Prüfung. Das Interesse für medizinische Themen ist geblieben. So war für ihn auch rasch klar, dass er das Genprofil von sich machen lassen will. «Noch vor drei Jahren, im Medizinstudium, war dies Zukunftsmusik. Jetzt ist es Realität. Das fasziniert mich.»
Im Esszimmer der modernen Wohnung, die er mit seiner Freundin teilt, hängt ein Kruzifix aus Holz. Früher, als Klosterschüler, ging er oft alleine in eine Kapelle auf der Klewenalp. «Das hat mir viel gebracht, ich habe viel zurückbekommen.»
Am Sonntag in die Kirche, das ist hingegen nicht sein Ding. «Aber ich würde gerne intensiver glauben», sagt er und spielt mit dem kleinen Kreuz, das er um den Hals trägt.
Sven Würsch ist gespannt auf die Ergebnisse des Genprofils. Was, wenn der Test ein hohes Risiko für eine Krankheit ergibt? «Vielleicht würde ich dann gesünder leben», sagt er. Zum Beispiel aufhören zu rauchen oder mit Ausdauersport anfangen.
Oder seine Ernährung umstellen. Heute bezeichnet er sich als «sorglosen Esser»: Die fettigen Speisen schmecken halt am besten, sagt er entschuldigend. Die paar Kilos, die er deswegen zu viel hat, stören ihn nicht. Bis jetzt.