Bisher galten vor allem zu wenig Bewegung, Rauchen und viel Alkohol als Risiko, im Alter an Demenz zu erkranken. Doch auch Medikamente sind eine Gefahr fürs Hirn. Dies bestätigt nun eine grosse Studie aus Grossbritannien. Autorin Carol Coupland von der britischen Uni Nottingham wertete die Daten von 284000 Menschen über 55 Jahren aus. Sie verglich Demenzkranke und Gesunde und schaute, welche Mittel sie in den Jahren zuvor geschluckt hatten.
Risiko für Demenz bis zu 70 Prozent erhöht
Besonders problematisch sind Pillen gegen Psychosen wie Leponex und Zyprexa. Sie erhöhen das Risiko für Demenz um 70 Prozent (siehe Tabelle im PDF). Fast ebenso stark steigt es bei Mitteln gegen eine Reizblase. Dazu gehören Detrusitol und Spasmo-Urgenin. Ein etwas geringeres Risiko sind Medikamente gegen Depressionen, Epilepsie und Parkinson.
All diesen Mitteln ist eines gemeinsam: Sie blockieren den Botenstoff Acetylcholin im Gehirn und schalten das unbewusste Nervensystem auf Stress. Die Pupillen werden grösser, Blasenaktivität und Verdauung gebremst. Patienten spüren dies vor allem an den typischen Nebenwirkungen: Sie haben einen trockenen Mund, leiden an Verstopfung oder sehen verschwommen. Es kommt auch zu Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen und Halluzinationen.
Schon vor vier Jahren zeigte eine Studie aus den USA, dass Patienten öfter an Demenz erkranken, je mehr solcher Medikamente sie schluckten. Thomas Münzer, Arzt für Altersmedizin in St. Gallen, bestätigt: «Es ist bekannt, dass diese Mittel ungünstig auf die Hirnleistung wirken.» Deshalb müsse man sie bei älteren Patienten vorsichtig einsetzen. Entscheidend sei vor allem, wie lange man die Mittel nehme. In der Studie stieg das Risiko für Demenz nach rund drei Jahren deutlich.
Zwar bewies die britische Studie nicht, dass die Medikamente tatsächlich der Grund waren. Dies gibt Ansgar Felbecker, Demenzexperte am Kantonsspital St. Gallen, zu bedenken. Denn auch diejenigen Krankheiten, welche die Pillen lindern sollten, könnten eine Rolle gespielt haben. So würden Patienten mit Depressionen, Parkinson und Epilepsie allgemein öfter an Demenz erkranken. Trotzdem hält Felbecker die Ergebnisse der Studie für «beunruhigend». Er rät, wann immer möglich andere Medikamente zu bevorzugen.
Bei Reizblase auf Koffein verzichten
Laut dem Berner Arzneimittelexperten Bernhard Lauterburg gibt es in vielen Fällen gute Alternativen.
Bei einer Reizblase sind dies Therapien wie Blasen- und Beckenbodentraining, der Verzicht auf Koffein, aber auch Medikamente wie Betmiga, Urispas oder Botoxspritzen.
Bei Depressionen sollte man vor allem die trizyklischen Antidepressiva wie Saroten, Sinquan und Surmontil meiden. Felbecker: «Ärzte verschreiben sie noch zu oft.» In vielen Fällen helfen Psychotherapie oder Arzneimittel mit Johanniskraut wie Jarsin oder Rebalance. Auch Medikamente wie Zoloft, Fluctine, Seropram und viele weitere erhöhen das Demenzrisiko nicht.
Für Patienten mit Parkinson gibts Alternativen – etwa mit dem Wirkstoff Levodopa und einer Reihe von Medikamenten mit unterschiedlicher Wirkweise, zum Beispiel Parlodel, Tasmar, Azilect oder Symmetrel.
Arzneimittelfachmann Bernhard Lauterburg gibt aber zu bedenken: «Alle diese Medikamente haben ebenfalls Nebenwirkungen und Risiken.» Man müsse für jeden Patienten einzeln entscheiden, welche Therapie für ihn am besten sei.
Die Hersteller räumen ein, dass starke Wirkstoffe gegen Acetylcholin dem Gehirn langfristig schaden können. Doch die Studie erlaube keine Aussage zum Risiko einzelner Wirkstoffe. Glaxo-Smith-Kline schreibt, dass die Studie keine erhöhte Gefahr für Demenz bei Deroxat belege, und verweist auf die Fachinformation. Dies tut auch Hersteller Lundbeck: Dort sei die Wirkung von Saroten erwähnt und älteren Patienten werde eine geringere Dosis empfohlen. Laut Zeller Medical wirkt Spasmex nicht im Bereich des zentralen Nervensystems, sondern nur auf Blase, Darm und Speicheldrüsen. Sanofi schreibt, man prüfe die Sicherheit von Surmontil, Ditropan und Nozinan regelmässig. Und Eli Lilly sagt, die bisherigen Studien zu Zyprexa hätten «keinen direkten negativen Effekt» auf die Hirnleistung gezeigt.
So halten Sie Ihr Gehirn fit
- Überprüfen Sie mit dem Arzt regelmässig Ihre Medikamente.
- Pflegen Sie soziale Kontakte mit Freunden oder im Verein.
- Fordern Sie Ihr Gehirn mit Denkspielen oder Lesen.
- Lernen Sie ein Musikinstrument oder eine neue Sprache.
- Sorgen Sie für Bewegung mit Wandern, Tanzen, Velo fahren oder Gärtnern.
- Essen Sie viel Gemüse, Früchte, Vollkorngetreide, Fisch und Olivenöl, aber wenig Fleisch.
- Weitere Tipps in der Broschüre «Demenz vorbeugen» unter Alzheimer-schweiz.ch.