Bei Barbara Wohlfarth in Affoltern am Albis ZH steht ein Trampolin im Garten. Sie hat es für ihre Tochter gekauft, aber auch sie würde es gern ab und zu benutzen. Das macht sie freilich nur selten. Denn die 39-Jährige ist seit einigen Jahren inkontinent. Sie verliert immer wieder tropfenweise Urin, ohne dass sie etwas dagegen tun kann. «Aufs Trampolin gehe ich nur, wenn ich nachher Zeit zum Duschen habe», sagt sie. Im Alltag trägt Wohlfarth Inkontinenzbinden oder Einlagen. Zudem wechselt sie täglich mehrmals den Slip: «Ich habe Angst, dass jemand den Uringeruch bemerkt.»
Barbara Wohlfarth ist kein Einzelfall. David Scheiner, Urogynäkologe am Unispital Zürich, sagt: «Inkontinenz ist ein verbreitetes Problem – auch bei jüngeren Frauen.» Oft beginnt es nach der Geburt eines Kindes. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko: Die Muskeln des Beckenbodens werden schwächer und können den Urin nicht mehr halten. Der Beckenboden liegt rund um den Anus und den Ausgang von Scheide und Harnröhre. Folge: Beim Husten, Hüpfen, Lachen oder Treppensteigen fliesst der Urin unkontrolliert. Fachleute sprechen von Belastungsinkontinenz.
Lasertherapie ist nur bedingt empfehlenswert
Doch mit Inkontinenz muss man sich nicht abfinden: Es gibt zahlreiche Therapien (siehe Tabelle im PDF). Häufig raten Ärzte zur Operation: Dabei setzt der Arzt ein Band ein, das die Harnröhre stabilisiert. Laut der Zeitschrift «Pharma-Kritik» ist der Eingriff meist erfolgreich: Neun von zehn Frauen können danach ihren Urin halten. Doch die Operation hat unter Umständen Nachteile: Ist das Band zu straff, können Betroffene die Blase nicht mehr ganz entleeren. Dann braucht es eine weitere Operation, bei der man das Band lockert.
Eine neuere Methode ist die Lasertherapie. Dabei verdickt und verstärkt der Arzt die vordere Scheidenwand mit einem Laser. Volker Viereck, Chefarzt Urogynäkologie am Spital Frauenfeld TG, wendet die Methode im Rahmen von Studien an. Er sagt: «Laser wirkt gut bei leichter bis mittlerer Belastungsinkontinenz.» Die Therapie kommt laut Experten aber nicht für alle Patientinnen infrage. Laut Facharzt David Scheiner braucht es weitere Studien. Deshalb ist die Lasertherapie nur bedingt empfehlenswert.
Ein weiterer Eingriff ist die sogenannte Bulking-Agents-Therapie. Dabei umspritzt der Arzt die Harnröhre mit einem gelartigen Stoff. Experten empfehlen diese Methode nur Frauen, die bereits eine Inkontinenzoperation hinter sich haben oder für eine Operation zu schwach sind. Nachteil: Die Wirkung lässt mit der Zeit nach.
«Beckentraining ist das A und O»
Fachleute sind sich einig: Ein Eingriff kommt erst infrage, wenn andere Methoden nichts nützten. Zuerst sollten Betroffene versuchen, die Muskeln des Beckenbodens zu stärken. Spezialist David Scheiner sagt: «Das Training ist das A und O.» Das bestätigen Studien: In einer Untersuchung von 2017 konnten sechs von zehn Frauen ihren Urinfluss kontrollieren, wenn sie ihren Beckenboden regelmässig trainierten. Das kann man zu Hause tun: Der Gesundheitstipp hat ein Merkblatt mit Übungen zusammengestellt (siehe Hinweis).
Scheiner empfiehlt, das Beckenbodentraining im Rahmen einer Physiotherapie bei einer spezialisierten Therapeutin zu machen. Die Vorteile: Man bleibt eher dran, und die Therapeutin kann Hilfsmittel wie Biofeedback und Elektrostimulation einsetzen. Dafür führt die Patientin eine Sonde in die Vagina ein. Beim Biofeedback zeigt die Therapeutin in Bildern, wie man die Muskeln an- und entspannt. Bei der Elektrostimulation regt sie den Beckenboden mit Strom an. So bewegen sich die Muskeln, und die Patientin spürt, wie sich ein kräftiger Beckenboden anfühlt.
Pessare schneiden weniger gut ab. Das sind Würfel aus Kunststoff oder Silikon, die man wie Tampons in die Scheide einführt. Sie stabilisieren die Harnröhre. Produkte heissen etwa Contam, Contrelle oder Recafem. «Pharma-Kritik» empfiehlt sie nur für kurzfristige Behandlungen. Manchen Frauen helfen auch Zäpfchen oder Salben mit Östrogen, zum Beispiel Östro-Gynaedron oder Kadefemin. Das Hormon stärkt die Harnröhrenwand. Es kommt allerdings nur bei Frauen nach den Wechseljahren infrage.
Die Pessar-Anbieter sagen, Patientinnen würden die Produkte gut vertragen. Laut der Firma Reca Med handelt es sich bei Recafem um einen Tampon.
Gratis-Merkblatt: «Beckenboden stärken»
Das Merkblatt lässt sich hier herunterladen.
Schwache Blase: Das hilft im Alltag
- Drehen Sie beim Husten und Niesen den Oberkörper zur Seite. So kommt die Blase weniger unter Druck.
- Falls Sie übergewichtig sind: Versuchen Sie abzunehmen.
- Tragen Sie Inkontinenzhosen. In Tests schnitten sie besser ab als Windelslips und Einlagen. In einem Gesundheitstipp-Test erhielten die Hosen
- «Molicare» aus Apotheken und «Flufsan» aus der Landi die besten Noten (Gesundheitstipp 6/2019).
- Sprechen Sie mit Ihrer Frauenärztin über das Problem.