Bundesrat Alain Berset will die Bevölkerung schon im Januar impfen lassen. Das Bundesamt für Gesundheit hat bei drei Herstellern 13 Millionen Impfdosen bestellt. Sie bringen die neuen Impfstoffe in wenigen Monaten im Schnellverfahren auf den Markt. Das ruft Kritiker auf den Plan. Hausarzt Peter Mattmann aus Kriens LU: «Es ist fahrlässig, Millionen Menschen mit solchen Stoffen zu impfen.» Üblicherweise dauern die Abklärungen fünf bis zehn Jahre, bevor ein Impfstoff auf den Markt kommt. Kommt dazu: Alle drei Impfstoffe sind völlig neuartig. Fachleute haben wenig oder praktisch keine Erfahrungen damit.
Bei einer klassischen Impfung spritzt man den Leuten Eiweiss der Virushülle ins Blut, welches das Immunsystem anregt. Bei den drei neuen Corona-Impfstoffen stellt der Körper die Virusbestandteile selber her. Diese stimulieren dann wiederum das Immunsystem.
Die Tests der Hersteller lassen sich nicht prüfen
Einer der Impfstoffe ist mRNA-1273 des US-Pharmaunternehmens Moderna: Er enthält genetische Informationen des Coronavirus, die sogenannte mRNA (siehe Tabelle im PDF). Diese genetische Information gelangt in die Körperzellen, die dann die Vireneiweisse produzieren. Bisher gibt es keinen einzigen Impfstoff mit dieser Technologie auf dem Markt. Moderna sagt, der Impfstoff sei an rund 30000 Personen getestet worden, die Wirksamkeit sei 94 Prozent. Nur: Fachleute können das bis heute nicht überprüfen. Sie kennen weder Details noch Resultate der Studien.
Auch Pfizer verwendet für den Impfstoff BNT162b1 die mRNA-Technik. Der US-Hersteller meldete eine Wirksamkeit von 95 Prozent bei rund 43000 Testpersonen. Doch auch Pfizer veröffentlichte die Daten und Resultate der Zulassungsstudien bisher nicht.
Eine andere neue Technik wendet die US-Firma Astra Zeneca bei ihrem Impfstoff AZD1222 an. Sie fügt Gene des Coronavirus in ein harmloses Virus ein. Dieses genetisch veränderte Virus gelangt in menschliche Zellen und setzt dort die Gene frei. Damit erzeugt der Geimpfte selber die Eiweissbestandteile von Coronaviren. Diese Technik setzte man bei einem Ebola-Impfstoff ein.
Der österreichische Biologe Clemens Arvay warnte in der «Schweizerischen Ärztezeitung»: Bei der mRNA-Technik bestehe die Gefahr, dass das Immunsystem überreagiere. Beim Impfstoff von Astra Zeneca könne man nicht ausschliessen, dass Genstücke des Virus in den Zellkern gelangen und sich dort in das menschliche Erbgut einfügen. Das erhöhe das Tumorrisiko.
Laut der Zeitschrift «Arzneimittelbrief» können alle Corona-Impfstoffe Muskel- und Gelenkschmerzen, Fieber, Kopfweh und Müdigkeit hervorrufen. Die kurze Dauer der Zulassungsstudien erhöhe zudem das Risiko, dass gefährliche Nebenwirkungen unerkannt bleiben. Der Arzt Etzel Gysling aus Wil SG, Herausgeber der Zeitschrift «Pharma-Kritik», sagt, zurzeit sei es nicht möglich, zu beurteilen, wie verträglich die neuen Impfstoffe sind.
Auch die Wirkung der Impfstoffe ist unklar. Das Fachblatt «British Medical Journal» schrieb: Um die Zulassung schneller zu erhalten, hätten die Hersteller nur getestet, wie viele Teilnehmer leichte Erkältungszeichen, wie Husten, Fieber oder Kopfweh, bekommen und wie ihr Immunsystem reagiert. Keine der Studien hätte untersucht, wie gut die Impfstoffe schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verhindern.
Für Arzt Etzel Gysling ist klar: Bei der aktuellen Datenlage könne er die Impfung nicht empfehlen – auch nicht Senioren. «Besonders problematisch scheint mir», so Gysling, «dass sich die Zulassungsstudien nicht auf diejenigen Personen konzentrieren, bei denen die Krankheit gefährlich ist – das heisst: auf die alten Leute.» Deshalb sei das Risiko gross, dass die Impfung Senioren nicht vor gefährlichen Krankheitsverläufen schützen könne.
Die englische Zeitschrift «New Scientist» hat eigenen Angaben zufolge bei den Herstellern Informationen verlangt, aber keine erhalten. Der deutsche Impfexperte Martin Hirte kritisiert, die Impfung von Millionen Menschen sei ein Versuch, die Zulassungsstudien zu vervollständigen: «Die Behörden müssen offen darüber informieren.»
Hersteller bleibt dabei: Impfstoff sei wirksam
Astra Zeneca beharrt darauf, die Studien hätten gezeigt, dass ihr Impfstoff «hochwirksam» vor Corona schütze. Die geimpften Teilnehmer seien nicht schwer erkrankt und hätten keine Spitalpflege gebraucht. Sie hätten auch Erwachsene über 65 Jahre getestet. Alle hätten eine robuste Immunreaktion gezeigt. Die Firma legte dem Gesundheitstipp eine frühe Studie mit nur 560 Teilnehmern vor. Ein unabhängiges Komitee beaufsichtige die Studien, um Sicherheit und Qualität zu gewährleisten.
Das Bundesamt für Gesundheit sagt, Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe habe oberste Priorität. Es würde die abschliessenden Resultate der Zulassungsstudien im Detail prüfen.