Wann spürten Sie erstmals, dass Musizieren schmerzen kann?
Im Studium. Ich spielte bei einem tollen Stück mit: dem «Karneval der Tiere» von Camille Saint-Saëns.
Was spielt da die Querflöte?
Die Vogelstimmen in der Volière. Ein schöner, aber anspruchsvoller Part. Ich übte stundenlang schnelle Trillerläufe und setzte mich ziemlich unter Druck.
Hat es sich ausgezahlt?
Die erste Probe war super, in der zweiten schmerzte die Hand bereits und in der Hauptprobe hatte ich solche Schmerzen, dass ich vor der schwierigen Entscheidung stand: kurzfristig absagen oder wegen der Schmerzen viel schlechter spielen. In beiden Fällen riskierte ich, nie mehr angefragt zu werden.
Wie haben Sie sich entschieden?
Ich musste absagen und zwei Wochen pausieren. Dann suchte ich Wege, um Schmerzen zu vermeiden.
Nahmen Sie ein Schmerzmittel?
Ja, aber es wirkte kaum. Heute weiss ich, dass Schmerzmittel längerfristig keine Lösung sind.
Woher kamen die Probleme?
Ich spielte mit zu viel Muskelkraft und war innerlich stark angespannt. So übte ich stundenlang Passagen, die leichte, schnelle Bewegungen verlangten – bis ich die Finger nicht mehr richtig bewegen konnte. Ich hatte Mikroverletzungen in Muskeln und Sehnen.
Viele Musiker nehmen solche Schmerzen offenbar in Kauf.
Genau. Viele sagen sich: Wenn es brennt und sticht, habe ich genügend hart geübt. Dabei ist der Schmerz ein Alarmsignal, das man nicht ignorieren sollte.
Und wenn doch?
Viele Musiker sind sich der Ursache nicht bewusst. Wenn sie eisern weiterüben, kann der Schmerz plötzlich sehr stark sein – bis sie unfähig sind, weiterzuspielen.
Wie kann man sich schützen?
Indem man auf ein leichtes Spielgefühl und eine natürliche Körperhaltung achtet. Das Instrument muss ergonomisch dem Körper angepasst werden – nicht umgekehrt. Es spielt eine Rolle, wie ich übe, und dass ich mich zum Ausgleich körperlich bewege sowie Pausen einlege. Ein Stück kann ich auch mal nur im Kopf durchgehen.
Sie gehen heute also anders mit dem Problem um als seinerzeit beim «Karneval der Tiere».
Ich habe mit der Dispokinesis meinen Weg gefunden. Diese Methode ist speziell für Musiker und beschäftigt sich mit Haltung, Bewegung und Ausdruck. Ich machte eine Dispokinesis-Ausbildung und berate nun neben der Tätigkeit als Flötistin seit über zehn Jahren Musiker. Dabei arbeite ich mit Ärzten und Therapeuten zusammen.
Sprechen Musiker miteinander über ihre Schmerzen?
Das Thema ist oft immer noch ein Tabu. Ich plane zwischen zwei Klienten stets eine Pause ein, damit sie sich keinesfalls vor meinem Studio begegnen. Ein Wartezimmer habe ich auch nicht.Daniel Stehula
Zur Person: Cornelia Suhner
Die 39-jährige Zürcherin ist Konzertflötistin. Vom vielen Üben bekam sie in der Studienzeit Probleme mit Sehnen und Muskeln. Schmerzen sind bei Musikern verbreitet: Bläser haben Atemprobleme, Pianisten Schulter- und Rückenbeschwerden. Anlaufstelle ist die Gesellschaft für Musikmedizin (Musik-Medizin.ch).