Seit einigen Monaten sammle ich Zeitungen aus der Schweiz und dem Ausland. Mittlerweile sind es über 80 verschiedene Titel. Ich will mich nicht nur informieren. Ebenso spannend finde ich es, die Zeitungen miteinander zu vergleichen. So achte ich darauf, wie die jeweiligen Redaktionen Themen wählen und gewichten, welche Artikel sie auf der Frontseite platzieren. Auch sprachliche Merkmale sind wichtig, etwa, ob die Sätze eher kurz oder verschachtelt sind.
Ich bin Autist. Es ist typisch, dass Autisten sich in bestimmte Themen vertiefen. Warum es bei mir gerade Zeitungen sind, weiss ich nicht. Doch ich hatte schon immer eine Leidenschaft fürs Sammeln. Früher waren es Briefmarken, später Zugstrecken: Ich habe rund 80 Prozent des Streckennetzes in der Schweiz abgefahren.
Ich fahre gerne mit der Bahn. Trotzdem ist es manchmal schwierig. Die Flut an Reizen, die vielen Geräusche und Gerüche in vollen Zügen machen mir zu schaffen. Wenn die Eindrücke überborden, führt das in meinem Kopf zu Stau. In Extremfällen kann ich nicht mehr auf zusätzliche Situationen reagieren. Wenn mich zum Beispiel jemand etwas fragt, nehme ich das nicht wahr. Ich muss dann möglichst schnell an einen Ort, an dem ich keinen Fremdeinflüssen ausgesetzt bin.
Grundsätzlich ist für mich die blosse Anwesenheit von Menschen bereits ein starker Reiz. Ich brauche Zeit für mich allein. Es ist aber nicht so, dass ich Kontakte meide. Wenn ich mit Familienmitgliedern oder Bekannten abmache, muss ich nur im Voraus wissen, wo, wann und wie das Treffen stattfindet und wie lange es dauert, damit ich mich darauf einstellen kann. Spontaneität liegt mir nicht.
Die Diagnose Autismus bekam ich als Achtjähriger. Ich spielte nicht mit anderen Kindern, sondern vertiefte mich in meine Bücher. Es kam schon damals zu Situationen, in denen ich mit Reizen überladen war. Sie prasseln noch heute ungefiltert auf mich ein. Um sie verarbeiten zu können, brauche ich ausgedehnte Rückzugsphasen und bin dadurch weniger belastbar.
Das macht es schwierig, in der Arbeitswelt zu bestehen. Nach der Bezirksschule habe ich keine Lehrstelle gefunden. Stattdessen bekam ich eine IV-Rente. Zurzeit arbeite ich einen Tag pro Woche als Assistent in einer Schule. Das läuft gut. Trotzdem bedaure ich, dass ich abgesehen von Kleinstpensen keine Chance auf eine Arbeit oder Ausbildung erhalte, damit ich mein Wissen und meine Fähigkeiten einsetzen kann. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft Menschen wie mich, die nicht der Norm entsprechen, integriert und als gleichwertige Mitglieder behandelt. Dafür plädiere ich auch an Vorträgen über Autismus, die ich in der ganzen Deutschschweiz halte.
Autismus: Rückzug in die eigene Welt
Wer an Autismus leidet, zieht sich meist zurück in seine eigene Welt. Weil sich die verschiedenen Formen nicht scharf voneinander abgrenzen, sprechen Fachleute von einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Sie kann sich etwa darin zeigen, dass Betroffene Mühe haben, soziale Kontakte aufzubauen, Mimik zu deuten und Gefühle auszudrücken.
Zu den weiteren Merkmalen zählt die Überempfindlichkeit gegenüber Reizen oder das Bedürfnis nach geregelten Abläufen. Einige Autisten entwickeln Spezialinteressen, mit denen sie sich intensiv auseinandersetzen. Als Hauptursache für Autismus gelten erbliche Faktoren.
Hilfe und Infos
Autismuslink.ch
Autismus-approach.ch
Autismushilfe.ch/links