Frank Cuypers (60) aus Zug braucht keinen Partner, wenn er am Klettern ist – denn er ist ohne Seil und Gstältli unterwegs. In einer Halle hält er sich an farbigen Handgriffen fest und stösst sich mit den Beinen in die Höhe. Die Wand ist nur wenige Meter hoch. Cuypers sagt: «Ich mag die kurzen, kraftvollen Züge.» Wenn er oben ist, klettert er wieder hinunter oder lässt sich auf den weichen Mattenboden fallen.
Immer mehr Leute lassen sich für das Bouldern begeistern. Inzwischen gibt es in der Schweiz gegen 30 Boulderhallen, in denen man ausschliesslich ohne Seil klettert – drei Mal so viele wie noch vor zehn Jahren. Dazu kommen diverse Kletterhallen mit Boulderwänden.
Zwei von fünf Kletterern verletzten sich
Doch Bouldern ist nicht ungefährlich. Das zeigen Zahlen der Unfallversicherung Suva. Demnach haben sich Unfälle beim Bouldern von 2014 bis 2018 vervierfacht. Auch eine neue Studie der Uni Würzburg (D) zeigt, dass Bouldern in der Halle ein hohes Risiko für Verletzungen birgt. Die Wissenschafter rekrutierten 500 Leute, die regelmässig bouldern. Von ihnen verletzten sich über 200 innerhalb eines Jahres.
Ein häufiger Grund für Verletzungen bei Anfängern sind Stürze: Das passiert, wenn die Kletterer unkontrolliert auf die Matte fallen oder aus grosser Höhe abspringen. Häufige Verletzungen sind verstauchte, verrenkte Gelenke sowie gezerrte Sehnen. Zu den Schmerzen kommen die Kosten: Laut der Suva betragen sie pro Boulderunfall im Durchschnitt 3400 Franken.
Anfänger sollten nicht unkontrolliert fallen
Beim Bouldern klettert man zwar nicht so hoch wie beim Klettern mit Seil. Dennoch gibt es Anlagen, bei denen der höchste Griff in einer Höhe von 4,5 Metern liegt. Das bedeutet: Der Abstand zum Boden beträgt rund 3 Meter. Roger Schmid von der Beratungsstelle für Unfallverhütung sagt: «Bei Ungeübten bringt diese beträchtliche Fallhöhe ein erhebliches Risiko für Unfälle mit schweren Verletzungsfolgen mit sich.» Aus der Unfallforschung sei bekannt, dass sich das Risiko für einen Knochenbruch oder eine schwerwiegende Kopfverletzung bereits ab einer Fallhöhe von 1,5 Metern erhöhe. Schmids Tipp: immer zuerst so weit wie möglich hinunterklettern und sich auf keinen Fall unkontrolliert fallen lassen.
Hinzu kommt: Beim Bouldern besteht das Risiko, dass man sich an Fingern und Armen verletzt – etwa dann, wenn man mit einer Hand den Halt verliert und mit dem ganzen Gewicht nur noch an einem Arm hängt. Dann wirken derart grosse Kräfte auf die Kapseln und Bänder der Finger, dass sie beschädigt werden können. Das zeigt das Beispiel von Alois Rey (68) aus Schwyz: Er verletzte sich beim Klettern an einem Ringband im Finger. Rey sagt: «Seither bin ich beim Bouldern vorsichtig: Die Kräfte, die auf die Finger einwirken, sind beim Bouldern viel grösser als beim Klettern.» Auch chronische Verletzungen kommen beim Bouldern nicht selten vor, etwa Knorpelbrüche im Fingerglied. Es braucht meist Monate, bis diese verheilt sind.
Vor dem Bouldern: Gut aufwärmen
Mit Übungen kann man man das Verletzungsrisiko beim Bouldern reduzieren. Der Zürcher Orthopäde und Handchirurg Andreas Schweizer rät, sich vor dem Training mit «15 Minuten lockerem Dehnen und Seilspringen» aufzuwärmen. Dann solle man mit einfachen Boulderrouten starten.
Wie schwer eine Route ist, zeigt die Farbe der Griffe. Dieser Farbcode ist nicht überall gleich, sollte aber mit einer Anschrift erklärt sein. Anfänger klettern am besten zuerst auf geringer Höhe. Auch das Abspringen von der Wand sollte man üben: Mit den Beinen in Schrittstellung stösst man sich leicht von der Wand ab und geht mit parallelen Füssen beim Landen in die Knie. Ist der Aufprall stark, sollte man sich nach hinten abrollen, den Kopf zwischen die Schultern ziehen und die Arme an den Körper legen.
Viele Kletterhallen bieten Einführungskurse an. Patienten mit Arthrose und Osteoporose sollten zuerst mit ihrem Arzt besprechen, ob Bouldern für sie geeignet ist.
Tipps fürs Bouldern
- Tragen Sie bequeme Turnkleider mit genügend Bewegungsfreiheit.
- Klettern Sie stets mit Kletterfinken. Achten Sie darauf, dass diese satt am Fuss anliegen.
- Verwenden Sie Magnesium gegen schweissige Hände.
- Meiden Sie Griffe, die nur Platz für einen oder zwei Finger bieten.
- Ziehen Sie Fingerringe aus, binden Sie lange Haare zusammen.
- Adressen und Infos für Boulderhallen: Kletteranlagen.ch