Chris Zurlinden aus Erlen TG hat sich entschieden: Der 49-Jährige trennte sich im Januar von seiner Frau. Der Entscheid fiel ihm nicht leicht: Er dachte viel über die Beziehung nach und wusste viele Monate nicht, ob er bleiben oder gehen sollte. Eine belastende Zeit, erinnert er sich: «Ich konnte zeitweise fast nicht mehr schlafen, weil ich ständig darüber nachdachte.» Der Arzt gab ihm ein Medikament, damit er zur Ruhe kommen konnte. Als seine Frau in die Scheidung einwilligte, sei ihm «ein Stein vom Herzen» gefallen. «Denn nun war endlich klar, wie es weitergeht.»
Auch Martin Gyger aus Niederuzwil SG trennte sich von seiner Frau – auch er nach reiflicher Überlegung. «Das Hin-und-her-Überlegen brauchte viel Energie», sagt er. «Je länger es dauerte, umso schlimmer wurde es.» Zwar ging er mit seiner Frau noch in eine Paarberatung. «Es war aber zu spät, wir hatten uns auseinandergelebt. Die Fronten waren verhärtet.» Immer wieder sei es zu Streit gekommen: «Wir hatten unterschiedliche Auffassungen über Erziehung und Betreuung der Kinder.» Das war zu Beginn anders. Doch mit der Zeit verlor das Paar das Vertrauen ineinander.
Nach einigen Jahren erleben viele Paare eine Krise. Dann kommt bei manchen der Gedanke an eine Trennung auf. Viele haben sich auseinandergelebt, über Romantik legte sich Routine. Die Unsicherheit braucht viel Kraft. Die Zürcher Paartherapeutin Nathalie Brady sagt: «Man kann weder das alte Leben neu gestalten noch das neue Leben angehen.» Und doch raten Experten, sich mit dem Entscheid Zeit zu lassen. «Man sollte den Entscheid nicht in Aufregung oder unter Stress, sondern in Ruhe fällen», sagt die Berner Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello. Auch der Zürcher Psychologe Guy Bodenmann rät, den Entscheid reifen zu lassen.
Das spricht fürs Zusammenbleiben
Fürs Zusammenbleiben gibt es gute Gründe. Wenn das Paar trotz Unstimmigkeiten in der Lage ist, zu reden, ist noch nichts verloren. Partner bleiben sich eher nahe, wenn sie einander Gedanken und Erlebtes erzählen, sich zuhören und Zuspruch geben. Psychologin Perrig-Chiello befragte für ihr Buch «Wenn die Liebe nicht mehr jung ist» rund 2000 Personen während sechs Jahren mehrmals. Die eine Hälfte war verheiratet, die andere geschieden. Resultat: Die meisten Paare trennen sich wegen «Entfremdung». Davon berichtet auch Martin Gyger: «Wir sprachen immer weniger miteinander und hatten uns mit der Zeit auseinandergelebt.»
Fürs Bleiben spricht auch, wenn man nicht jeden Streit bis zum bitteren Ende führt, sondern im entscheidenden Moment das Thema wechseln kann oder eine gemeinsame Aktivität vorschlägt. Wer nicht jede Meinungsverschiedenheit in einer Grundsatzdiskussion enden lässt, behält eher den Respekt.
Auch wenn man noch Gefühle austauschen kann, besteht Hoffnung. Etwa wenn man zusammen lachen kann oder sich ganz nebenbei berührt, wenn einer in der Küche am Herd steht. Die deutsche Psychologin Ursula Nuber erklärt, das seien «Merkmale glücklicher Beziehungen». Wenn einige davon in einer Partnerschaft vorhanden seien, gebe es Hoffnung.
Wenn man sich trotz allem vorstellen kann, mit dem Partner alt zu werden, ist die Beziehung ebenfalls zu retten. Das gilt auch, wenn man gern an die Anfangszeit zurückdenkt. Ursula Nuber betont: «Erinnern sich Paare positiv an den Beginn ihrer Beziehung, ist das emotionale Band zwischen ihnen nicht vollständig zerrissen.»
Das spricht für eine Trennung
Manchmal ist der Leidensdruck zu gross. Dann ist eine Trennung besser. Für den Winterthurer Paartherapeuten Henri Guttmann ist das etwa der Fall, wenn der Partner ein Suchtproblem hat, an dem er nicht arbeitet, wenn es zu häuslicher Gewalt kommt oder wenn der Partner das eigene Selbstwertgefühl untergräbt. Und auch wenn es zu Aussenbeziehungen kommt, mit denen der andere Partner nicht einverstanden ist. Auch Psychologe Guy Bodenmann sagt: «Wenn der Partner wichtige Abmachungen nicht einhält, kann der Zeitpunkt für eine Trennung gegeben sein.»
Ein Paar in der Krise erzählt
M. S., 40: «ich will gehen»
«Mein Partner O. zog zwar vor vier Jahren aus unserer gemeinsamen Wohnung aus. Das war aber kein klarer Bruch: Er kehrte immer wieder zurück. Wir kamen uns auch körperlich nahe. Deshalb schöpfte ich Hoffnung, dass es doch noch klappt mit uns. Die Enttäuschung war dann umso grösser. Denn O. wünschte sich immer, dass er mit mir und gleichzeitig mit anderen Frauen zusammen- sein konnte. Das funktioniert für mich nicht. Das Hin und Her braucht sehr viel Energie. Ein Beispiel: Ich möchte schon lange eine Weiterbildung machen und habe nicht einmal die Kraft mir zu überlegen, was mich interessieren würde.»
O. p., 40: «ich will bleiben»
«Am liebsten würde ich mehrere Beziehungen gleichzeitig führen – auch mit meiner Partnerin M. Das geht für sie aber nicht. Als sie schwanger wurde, war mir klar: Ich muss jetzt ein ganz normaler Vater werden und darf nur noch mit ihr zusammensein. Aber dann fehlte mir die Zeit zu zweit. Ich fühlte mich abgelehnt und war verletzt: Ich hatte mich ihr angepasst, wollte sie glücklich machen. Dank bekam ich dafür nicht. Ich kann mit ihr aber tolle Gespräche führen, und sie war in so vielen Zeiten der wichtigste Mensch in meinem Leben. Wir teilen dieselbe Spiritualität. Deshalb wäre ich gern wieder mehr mit ihr zusammen.»