Es ist der 22. November im vergangenen Jahr. An einer Tagung für Ärzte im Universitätsspital Zürich spricht der Zürcher Frauenarzt Daniele Perucchini über Blasenschwäche. Bei diesem Leiden haben Patienten sehr häufig den Drang, die Toilette aufzusuchen. Oft können sie den Urin ungenügend zurückhalten. In der Mehrheit sind Frauen betroffen.
In seinem Referat stellt Perucchini unter anderem die neue Pille Betmiga des Pharmaunternehmens Astellas vor. Sie wurde 2014 neu zugelassen. Verschiedene Pharmaunternehmen haben die Tagung mitfinanziert – so auch Astellas.
Daniele Perucchini ist auch Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Blasenschwäche. Im Internet findet man sie unter www.inkontinex.ch. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung und Fachleute zu informieren, damit die Blasenschwäche aus der «Tabuzone» kommt. Patienten werden telefonisch und per E-Mail beraten. Im «Förderkreis» der Gesellschaft sind zwölf Firmen aufgeführt – zuoberst: Astellas Pharma.
Die Blasenschwäche-Gesellschaft organisiert nicht nur Seminare für Fachleute, sie vertreibt auch Informationsmaterial für die Bevölkerung. Eine Broschüre trägt den Titel «Patientenratgeber». Dort sind die Therapien aufgelistet. An erster Stelle auch hier: blasenentspannende Medikamente, zu denen Betmiga gehört.
Medikamente mit bescheidenem Nutzen
Was die Gesellschaft jedoch verschweigt: Medikamente gegen Blasenschwäche sind umstritten, so auch Betmiga. Urspeter Masche, Facharzt für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, kommt im Fachblatt «Pharma-Kritik» zum Schluss: «Betmiga hilft gegen Reizblasen-Beschwerden nicht besser als schon länger bekannte Medikamente.» Grundsätzlich hätten Medikamente einen enttäuschenden Nutzen. Laut Studien ersparen sich die Betroffenen innerhalb von zwei Tagen gerade mal einen von 16 und noch mehr Gängen auf die Toilette. Auch das deutsche «Arznei-Telegramm» schrieb kürzlich: «Der Nutzen von Betmiga ist bescheiden.» Tabletten seien nur dann sinnvoll, wenn andere Medikamente unzureichend wirken oder Patienten sie nicht vertragen.
Medikamente sind bei der Therapie einer schwachen Blase sowieso nicht erste Wahl, obwohl das der erwähnte «Patientenratgeber» suggeriert. Für Facharzt Masche ist klar: Deutlich erfolgversprechender sind Massnahmen wie Beckenbodentraining und ein verändertes Trinkverhalten (siehe Merkblatt «Blasentraining»).
Frauenarzt Daniele Perucchini räumt gegenüber dem Gesundheitstipp ein, dass die Wirkung von Betmiga «begrenzt» sei. Trotzdem seien Medikamente weltweit anerkannt zum Behandeln einer schwachen Blase. Perucchini schreibt auch, die Unterstützung der Gesellschaft für Blasenschwäche durch die Pharmaindustrie sei «transparent kommuniziert».
«Industrie hat uns nicht massiv unterstützt»
Er verweist auf die Liste der Sponsoren. Die drei beteiligten Pharmafirmen hätten nur 15 Prozent des Budgets der Tagung am Universitätsspital übernommen. Den Hauptteil hätten andere Firmen gespendet. Perucchini: «Die Industrie hat uns also nicht massiv unterstützt.» Wie viel Geld zwischen der Pharmaindustrie und der Gesellschaft für Blasenschwäche fliesst, will der Arzt jedoch nicht sagen.
Astellas-Sprecherin Susanne Höppner lässt verlauten, das Unternehmen halte «sämtliche Richtlinien betreffend Sponsoring» ein. Astellas nehme «selbstverständlich» keinen Einfluss auf den Inhalt von Veranstaltungen und Tagungen. Es habe keine Werbung gegeben, die mit den «relevanten Standards» und Regelungen nicht vereinbar gewesen wären. Höppner: «Die Referenten sind frei, wie sie sich zu den Produkten von Astellas äussern wollen.» Auf seiner Website deklariert das Pharmaunternehmen, dass es die Gesellschaft für Blasenschwäche 2013 mit 10 000 Franken unterstützt hatte.
Die Gesellschaft für Blasenschwäche ist kein Einzelfall. Viele Beratungsstellen für Patienten hängen finanziell am Tropf der Industrie. Gerhard Kocher ist Gesundheitsökonom und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Patientinnen- und Patientenorganisationen. Er verweist auf die Geldnot, unter der fast alle Patientenorganisationen leiden: «Sponsoring ist für viele eine notwendige Einnahmequelle.» Es gebe Firmen, die dies ausnützten, Werbung für ihre Produkte machten oder gar die Tätigkeit der Patientenvereine beeinflussten. Dies nach dem Motto: «Wer zahlt, befiehlt.»
Gegen Unterwanderung durch Pharmafirmen
Kochers Arbeitsgemeinschaft hat deshalb vor über zehn Jahren «Grundsätze zum Sponsoring» erlassen. Sie sollen Organisationen vor kommerziellen Missbräuchen und der Unterwanderung durch Pharmafirmen schützen. In den Richtlinien steht allerdings, dass eines von fünf Mitgliedern im Vorstand aus der Pharmabranche sein darf.
Weiter geht die Selbsthilfe Schweiz, eine andere Dachorganisation für Patientengruppen. Sie empfiehlt Mitgliedern, sich von Sponsoren vertraglich garantieren zu lassen, dass keine Bedingungen an die Unterstützung geknüpft sind. Sprecher Sebastian Gibis: «Sollte der Sponsor mehr als das Erwähnen des Namens erwarten, ist die Grenze einer tolerierbaren Zusammenarbeit überschritten.»
Tipps: So trainieren Sie Ihre Blase
- Trinken Sie 2 bis 3 Liter täglich. Viel trinken reizt die Blase weniger.
- Trinken Sie nur wenig Kaffee oder Saures.
- Treiben Sie Sport, um Stress abzubauen.
- Essen Sie viel Gemüse und Ballaststoffe. Verstopfung schwächt die Blase.
- Versuchen Sie den Gang zur Toilette aufzuschieben. Zu vieles Wasserlassen fördert Blasenschwäche.
- Führen Sie ein Tagebuch über Ihre Toilettengänge.
Gratis-Merkblatt: Blasentraining
Zum Herunterladen unter www.gesundheitstipp.ch oder zu bestellen gegen ein frankiertes und adressiertes C5-Antwortcouvert bei:
Gesundheitstipp
«Blasentraining»
Postfach 277
8024 Zürich