Die Internetseite von «20 Minuten» brachte am 20. März die Schlagzeile: «Pouletfleisch macht Medis wirkungslos.» Anlass war ein Test des «Kassensturz», der im Poulet Keime gefunden hatte, die gegen Antibiotika resistent sind. Forscher vermuten, dass ein übermässiger Einsatz von Antibiotika in der Tiermast mitverantwortlich ist.
Jetzt zeigt eine Poulet-Stichprobe des Gesundheitstipp: Je besser ein Tier gehalten wird, desto weniger finden sich resistente Keime im Fleisch (siehe Grafik). Ein Labor untersuchte 30 Proben – je zehn aus Bio-Betrieben, konventioneller Produktion aus der Schweiz und dem Ausland.
Am besten schnitten die Bio-Proben ab: Nur drei von zehn enthielten die gefährlichen Keime. Zwar dürfen auch Bio-Bauern Antibiotika einsetzen, wenn ein Tier krank ist. Laut Veronika Maurer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau verwenden sie aber robustere Hühnerrassen, die langsamer wachsen und weniger rasch krank werden. «Zudem dürfen sie nicht so viele Hühner pro Quadratmeter halten.» Beides führe dazu, dass Antibiotika seltener nötig würden.
Antibiotika-Einsatz in allen EU-Mastbetrieben
Pouletfleisch aus ausländischen konventionellen Betrieben war dagegen stark belastet. Sechs von zehn Proben enthielten resistente Keime. Das erstaunt nicht. Immer wieder zeigen Untersuchungen, dass EU-Mastbetriebe viel Antibiotika einsetzen. So ergab eine Studie in Nordrhein-Westfalen (D) letzten Herbst, dass 96 Prozent der Masthähnchen Antibiotika bekamen.
Dazu kommt: In der Schweiz sind die Betriebe kleiner. Auch das senkt das Risiko, Antibiotika einsetzen zu müssen. Sind dagegen mehrere zehntausend Tiere zusammengepfercht, übertragen sich Krankheiten schnell, der Bauer kommt um Antibiotika fast nicht mehr herum. Laut Susanne Bandi vom Bundesamt für Veterinärwesen hat in der Schweiz die Hälfte der Mäster weniger als 8000 Tiere. Maximal erlaubt sind 18 000. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es keine Obergrenze, ein Betrieb hat im Schnitt 46 000 Tiere.
Auch der «Kassensturz» stellte fest, dass ausländisches Poulet stärker mit resistenten Keimen belastet ist. Und das Bundesamt für Veterinärwesen wies kürzlich nach: Hühner auf Bio-Bauernhöfen sind weniger oft Träger dieser Keime. Bei den Bakterien handelt es sich um Darmbakterien, die eine Substanz namens Extended-Spectrum-Beta-Lactamase (ESBL) produzieren. Diese Substanz greift Antibiotika an und macht fast alle wirkungslos. Laut Andreas Widmer, Professor für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Unispital Basel, haben Ärzte normalerweise knapp 30 verschiedene Antibiotika zu Verfügung. «Doch bei ESBL-produzierenden Bakterien wirken gerade noch drei.»
«Die Keime wird man nicht so schnell los»
Die Keime machen zwar in der Regel nicht krank. In seltenen Fällen können sie allerdings Entzündungen auslösen, etwa wenn sie in die Blase gelangen. Schlimmer noch: Sie nisten sich im Darm des Menschen ein. «Wer einmal Träger dieser Keime ist, wird sie nicht so schnell wieder los», sagt Andreas Widmer. Bei einem Unfall oder einer Operation können die Keime Wunden besiedeln und die Heilung über Monate verunmöglichen. Die Bakterien verbreiten sich rasant. Alleine am Unispital Basel hätten letztes Jahr bei rund 500 Patienten Antibiotika nicht mehr wie üblich gewirkt. Widmer: «Vor drei Jahren waren es erst 50 Patienten.»
Seit der Entdeckung des Penicillins in den 1940er-Jahren sind Antibiotika die stärkste Waffe der Medizin gegen Infektionskrankheiten. Diese sei nun bedroht, so Widmer: «Die Situation droht uns zu entgleiten.» Er sieht vor allem die Landwirtschaft in der Pflicht: «In den meisten Betrieben sind Antibiotika heute der Normalfall. Das muss sich ändern.»
«Gute Küchenhygiene reicht nicht mehr aus»
Die Anbieter der belasteten Poulets reagieren unterschiedlich. Migros räumt ein, es sei «grundsätzlich möglich», dass sich Menschen über Lebensmittel mit den resistenten Keimen ansteckten. Sowohl Migros als auch Coop beteuern, ihre Lieferanten setzten Antbiotika nur sparsam ein. Die Kauffmann AG, die auch die Jelmoli-Fleischtheke betreibt, fühlt sich «machtlos». Es gebe «keine Möglichkeit, die absolute Sicherheit zu gewährleisten».
Die Pico Bio AG, welche die Markthalle Vitus beliefert, will «den Fall akribisch zurückverfolgen». Und Marinello schreibt: «Wir werden den Produzenten des Schweizer Poulets sofort wechseln.»
Keinen Handlungsbedarf sehen dagegen Aldi, Lidl und Manor. Sie alle weisen darauf hin, dass man Poulet gut durcherhitzen und die «Küchenhygiene» einhalten solle. Dann sei «der Verzehr unbedenklich», so Aldi.
Infektiologe Andreas Widmer relativiert diese Aussage jedoch: «Alleine mit guter Küchenhygiene ist es fast unmöglich, sich hundertprozentig zu schützen» – besonders, wenn resistente Bakterien so allgegenwärtig seien wie heute. Widmer: «Ein Anbieter, der sagt, das Problem liege nur beim Konsumenten, macht es sich zu leicht.»