Wenn ich mich am Morgen für die Arbeit bereit mache, ziehe ich ein schönes Kopftuch an. Ich arbeite in einem Operationssaal. Dort ist es kalt, und ich würde sonst am Kopf frieren. Ausserdem fühle ich mich so vor den Patienten wohler. Sie könnten wegen meiner Glatze an meinen Fähigkeiten zweifeln. Jedenfalls befürchte ich das.
In der Freizeit stehe ich mittlerweile zur Glatze. Ich habe Alopecia universalis und am ganzen Körper keine Haare mehr. Viele kennen die Krankheit nicht und denken, ich hätte Krebs. Einmal wünschte mir eine Kassiererin alles Gute und war den Tränen nahe. Ich verstand erst nicht, was sie meinte.
Als ich 17 Jahre alt war, begann der Haarausfall. Anfangs waren es nur einzelne kreisrunde Stellen am Kopf. Der Arzt gab mir Kortison. Das half zunächst: Der Haarausfall hörte auf, die Härchen wuchsen nach. Ich hatte immer wieder eine Weile Ruhe, bis sich die nächste kahle Stelle zeigte.
Irgendwann hörte das Kortison auf zu wirken. Ich trauerte um meine langen blonden Haare. Jede Shampoowerbung erweckt schliesslich den Eindruck, volles Haar sei der Inbegriff von Schönheit und Gesundheit. Dann sagte ich mir: Es geht mir doch gut. Ja, es sind Haare – aber eben auch nicht mehr als das. Mein Leben ist wunderbar. Ich bin voller Energie und kann alles machen, was ich will. Vor vier Jahren, als ich 25 Jahre alt war, rasierte ich meine restlichen Haare ab.
Einen Tiefpunkt erreichte ich aber, als mir dann auch noch die Augenbrauen ausfielen. Ich hatte das Gefühl, mein Gesicht zu verlieren. Es fehlte plötzlich etwas. Deshalb liess ich sie mir mit einer speziellen Technik als permanentes Make-up wieder aufzeichnen. Auch meine Augen schminke ich jeden Tag mit einem Lidstrich.
Nebenberuflich arbeite ich als Model für eine Agentur. Ich bekomme viele Anfragen, denn Frauen mit Glatze sind selten. Die Aufträge haben mir geholfen, die neue Situation zu akzeptieren. Ich habe gelernt, dass man keine Haare braucht, um schön zu sein.
Perücken trage ich selten. Sie sind ein Accessoire, wenn ich etwa ein elegantes Abendkleid anziehe. Ich war schon immer gross und schlank. Aber mit meiner Krankheit lernte ich, dass ich mehr bin als mein Aussehen. Heute kommt meine Schönheit von innen. Wenn ich einen guten Tag habe, strahle ich.
Mein Partner ist mir eine grosse Stütze. Jeden Abend, wenn ich heimkomme und noch ein Kopftuch trage, schliesst er mich in die Arme und nimmt es mir ab. Er sagt, ich gefalle ihm so am besten. Dass ich angenommen werde, wie ich bin, das ist das Schönste.
Ausserdem geben mir meine Familie und Freunde Kraft – und der Sport. Wenn ich mich bewege, kann ich vieles verarbeiten. Es spielt dann keine Rolle, ob ich Haare habe oder nicht.
Alopecia: Therapien gegen den Haarausfall gibt es keine
Alopecia beginnt oft schon in der Kindheit. Den Betroffenen fallen die Haare aus, es entstehen kahle, kreisrunde Stellen am Kopf. Manche verlieren auch alle Körperhaare. Alopecia universalis ist die schwerste Form. Experten vermuten, dass das Immunsystem dabei die eigenen Haarwurzeln angreift. In der Schweiz sind etwa 2 von 100 Personen betroffen. Therapien gibt es keine, man kann nur die Symptome bekämpfen – mit Medikamenten wie Kortison oder Metothrexat, das das Immunsystem unterdrückt.
Informationen und Beratung: Kreisrunderhaarausfall.ch