Schwulsein ist eine sexuelle Orientierung und hat nichts mit einer Krankheit zu tun. Das ist auch dem Bundesrat klar. Wer Schwule mit einer Psychotherapie umpolen will, begehe «eine Verletzung der Berufspflichten», schrieb er in einem Bericht. Behörden können Therapeuten, die derartige Behandlungen durchführen, die Bewilligung entziehen. In Deutschland will Gesundheitsminister Jens Spahn solche «Konversionstherapien» sogar verbieten.
Trotzdem gibt es in der Schweiz Psychotherapeuten, die Schwule umerziehen wollen. Einer davon ist der Psychiater Lukas Kiener aus Küssnacht am Rigi SZ. Dies zeigt eine Recherche des Gesundheitstipp. Er begleitete einen 24-jährigen Homosexuellen zu einem Beratungsgespräch bei Lukas Kiener.
Gesprächstermin nach langen Bemühungen
Der Innerschweizer Psychiater geht vorsichtig vor. «Wie kommen Sie auf mich?», fragte er in einem E-Mail. Erst nach monatelangen Bemühungen machte Kiener einen Termin mit dem Mann ab.
Dann, der 26. April: Der junge Mann und die Gesundheitstipp-Redaktorin als seine Begleiterin sitzen im Sprechzimmer. Kiener bietet dem 24-Jährigen eine Gesprächstherapie an. Er wolle Rollenvorbilder analysieren und schauen, ob der Klient sexuell missbraucht worden sei. Zudem arbeitet er mit der EMDR-Methode, dem sogenannten «Eye Movement Desensitization and Reprocessing». Mit dieser Methode behandeln Therapeuten in der Regel traumatisierte Menschen, zum Beispiel Soldaten, die im Krieg waren.
Kiener erklärt dem Homosexuellen, dass er bei einer Therapie Fotos von Männern mitbringen soll, die ihm gefallen. Es könnten auch pornografische Bilder sein, so Kiener. «Wir schauen zusammen an, was Ihnen an dem Mann gefällt. Denn das fehlt Ihnen selbst.» Kiener weiter: «Man muss ganz Mann sein, sich ganz im eigenen Geschlecht wohlfühlen, dann wird das andere Geschlecht interessant.»
Kiener sagt, die Therapie dauere mindestens zwei Jahre. Anfangs sei jede Woche eine Sitzung notwendig. Die ersten 40 Sitzungen übernehme die Krankenkasse, danach müsse er einen Antrag stellen. Das sei kein Problem: «Solche Anträge verlängern die Kassen eigentlich immer.» Als der junge Mann fragt, ob er später mit einem «Rückfall» in die Homosexualität rechnen müsse, winkt Kiener ab: «Heterosexualität ist ein sehr stabiler Zustand», sagt er. Wenn man einmal «da» sei, könne man davon ausgehen, dass «es so bleibt».
Für solche Konversionstherapien machen sich vor allem reli-giös-fundamentalistische Organisationen stark. Eine davon ist die «Stiftung Zukunft CH». Ihr Präsident ist Michael Freiburghaus, Pfarrer von Dürrenäsch AG. In vielen Freikirchen gilt Homosexualität als Sünde. Seelsorger versuchen, Schwule umzupolen. Sie glauben, Schwulsein entstehe durch eine überfürsorgliche Mutter oder wenn der Vater abwesend sei. Weil die väterliche Zuneigung fehle, würden Schwule dies mit Gefühlen für andere Männer kompensieren.
Auch Kiener steht religiösen Kreisen nahe. «Ich bete vor und nach einer Sitzung für Ratsuchende», sagte er in einem Interview mit der Zeitschrift «Campus für Christus». Und weiter: «Wenn Gott Menschen heilt und wiederherstellt, blühen Beziehungen auf.»
«Eine seelische Misshandlung»
Fachleute zeigen sich über Kiener entsetzt. Gesundheitstipp-Psychologe Henri Guttmann aus Winterthur ZH sagt: «Homosexualität zu behandeln, ist ethisch in keiner Weise vertretbar.» Guttmann wirft Kiener «seelische Misshandlung» der Klienten vor. Der Basler Psychotherapeut Udo Rauchfleisch, spezialisiert auf die Begleitung Homosexueller, sagt: «Ich hätte nie gedacht, dass ein von der Standesgesellschaft anerkannter Psychotherapeut so arbeitet.» Kritik kommt auch vom Verband EMDR Schweiz. Vorstandsmitglied Olivier Piedfort sagt, Kiener missbrauche die Technik: «EMDR kann Patienten gar nicht in eine bestimmte sexuelle Richtung zwingen.»
Kommt dazu: Solche Therapien können Schäden verursachen. Matthias Jäger, Direktor der Erwachsenenpsychiatrie in Baselland, bezeichnete sie 2011 im Fachmagazin «Swiss Medical Forum» als «gefährlich». Der Grund: «Daraus können grosse Verzweiflung und Probleme mit dem Selbstwertgefühl entstehen.» Dies könne sich in Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Krankheiten äussern, «die nicht selten auch zu Selbstverletzungen und Suiziden führen».
Natürlich komme es vor, dass Homosexuelle Mühe mit ihrer Neigung haben, sagt Psychotherapeut Rauchfleisch. «Dann geht es darum, wie die Person ihre Homosexualität in ihr Leben integrieren – und nicht darum, wie sie heterosexuell werden kann.» Der Klient solle das Gefühl haben: «Ich bin in Ordnung, wie ich lebe und bin!»
Psychiater Lukas Kiener wollte sich zu den Kritiken nicht äussern.
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