Wenn Ruth Cortecka spricht, zittert ihre Stimme. Noch heute geht ihr die Entscheidung ihres Mannes nahe. Er spendete seinen Körper nach dem Tod dem Anatomischen Institut der Universität Zürich für die Ausbildung von Medizinstudenten. «Es erschreckte mich, dass der Körper meines Mannes nach dem Tod keine Ruhe finden sollte», sagt Cortecka. Nach langen Gesprächen respektierte die 80-Jährige schliesslich seinen Wunsch. «Es passte zu ihm. Er war Einzelgänger und ein grosser Bewunderer der Forschung.»
Doch da wusste sie noch nicht, was folgen würde: «Es ging alles so schnell», erinnert sich die Witwe. Im Januar 2013 stellten die Ärzte bei ihrem Mann Bauchspeicheldrüsenkrebs fest. Drei Monate später verstarb er. Einen Tag nach seinem Tod holten ihn Mitarbeitende des Anatomischen Instituts zu Hause ab. Eine Beerdigung und Zeit, Abschied zu nehmen, waren nicht möglich. «Tröstlich war für mich einzig, dass das Institut im Verlauf des Jahres eine Gedenkfeier abhalten würde», sagt Cortecka. Einmal im Jahr führt das Anatomische Institut Zürich eine solche Gedenkfeier durch und lädt die Angehörigen der Körperspender dazu ein.
Doch auf die Einladung wartete die Witwe vergeblich. Ende 2013 rief Cortecka das Institut an, um sich danach zu erkundigen. Die Verantwortlichen sagten ihr, man habe die Einladung an die falsche Adresse geschickt. Das Ehepaar Cortecka war vier Jahre zuvor umgezogen. Lubomir Cortecka hatte dem Institut die neue Adresse vor seinem Tod in einer letztwilligen Verfügung zugeschickt. Sie wurde dort jedoch falsch archiviert.
Wer seinen Körper einem medizinischen Institut spenden will, muss zu Lebzeiten eine letztwillige Verfügung ausfüllen und sie dem Institut zusenden. Dort kreuzt man zum Beispiel an, ob der Körper für unbeschränkte Zeit im Institut bleiben darf. Zudem schreibt man die Adresse und Telefonnummer der Angehörigen auf. Das Formular kann man per Post bestellen oder auf der Internetseite des Instituts herunterladen.
Fehler «aufgrund besonderer Umstände»
Auch 2014 kam keine Einladung. Ruth Cortecka rief das Anatomische Institut erneut an. Man habe sie übersehen, war die Antwort. «Das war ganz schlimm», sagt sie. «Ich träumte in dieser Zeit oft von meinem Mann. Ich konnte nicht loslassen.» Per Telefon lud man die Witwe dann doch noch zu einer Gedenkfeier ein – im Jahr 2016. Darauf verzichtete Ruth Cortecka jedoch: «Das dauerte mir zu lange. Ich fühlte mich nicht ernst genommen.»
Auf Anfrage des Gesundheitstipp gab das Anatomische Institut der Universität Zürich zu, man habe «aufgrund besonderer Umstände» Fehler gemacht und entschuldigte sich bei Ruth Cortecka. Das Institut hatte im März 2013 sämtliche Dossiers in eine elektronische Datenbank überführt. So auch die letztwillige Verfügung von Lubomir Cortecka mit der neuen Adresse. laut Institut war die elektronische Datenbank zu Corteckas Todeszeitpunkt noch nicht im Einsatz. Deshalb sei die Einladung zur Gedenkfeier an die alte Adresse geschickt worden. Es sei ein bedauerlicher Einzelfall. Die Administration des Körperspendewesens werde seit vielen Jahren mit grösstmöglicher Sorgfalt geführt.
Offenbar ist Ruth Cortecka kein Einzelfall. Chantal Agthe, Beraterin beim SPO Patientenschutz, sagt: «Ich habe vor einigen Jahren einen ähnlichen Fall betreut.» Die Bedürfnisse der Angehörigen kämen bei der Körperspende oft zu kurz, so Agthe. «Hier braucht es mehr Aufklärung. Einerseits vom Institut, andererseits von den Ärzten an den Spitälern.» Und auch eine offene Kommunikation zwischen Spender und Angehörigen sei wichtig.
Körper bleibt drei bis vier Jahre im Institut
Wer seinen Körper spenden will, muss einiges wissen: Damit der Körper nicht verwest, wird er mit Formalin konserviert. So kommt er in Anatomiekursen von Medizinstudenten zum Einsatz. Oft mehr als einmal. Schnitt für Schnitt erarbeiten sich Studierende dort mit dem Skalpell ihr Wissen über den menschlichen Körper. Das alles braucht Zeit. In der Regel bleibt ein Körper drei bis vier Jahre im Institut.
Danach wird der Körper kremiert. In Zürich kann der Spender wählen, ob er im Ehrengrab des Anatomischen Instituts auf dem Stadtzürcher Friedhof Nordheim bestattet werden will oder ob die Angehörigen die Asche mit nach Hause nehmen sollen.