Jedes Mal, wenn Jürg Schibler Volleyball spielte, spürte er Schmerzen in der rechten Schulter. Vor allem, wenn er aufsprang und den Ball übers Netz schmetterte. Zu seinen besten Zeiten spielte er in der Nationalliga B. «Auch beim Langlaufen und wenn ich im Bett auf der rechten Seite lag, tat die Schulter weh», sagt der heute 59-jährige Solothurner. Schibler liess sich von einem Arzt untersuchen.
Der Bescheid: Der Volleyballer litt unter dem Engpass-Syndrom – oder Impingement, wie der Fachausdruck lautet. Wegen entzündeter Sehnen, Muskeln und Schleimbeutel wird der Raum zwischen der Gelenkkugel des Oberarms und dem Schulterblatt enger. Die Folge: Der Schleimbeutel entzündet sich und schmerzt, manchmal reissen Sehnen. Solche Beschwerden entstehen meist bei über 40-Jährigen mit abgenütztem oder überlastetem Schultergelenk.
«Nutzen der Operation wird überschätzt»
Immer öfter führen Chirurgen bei Betroffenen Operationen durch. Im Jahr 2012 waren es in der Schweiz 2376 Operationen, vier Jahre später bereits 2614 (siehe Grafik). Das zeigt eine Auswertung des Bundesamts für Statistik. Beim Eingriff tragen die Chirurgen Gewebe oder Knochensubstanz ab, um im Gelenk mehr Platz zu schaffen.
Die Operation ist allerdings umstritten. Die Fachzeitschrift «The Lancet» kommt gar zu einem vernichtenden Schluss: Operierte Patienten hätten nicht weniger Schmerzen und ihre Gelenke seien danach nicht beweglicher. Das zeigt ein Vergleich von über 300 durchschnittlich 53 Jahre alten Patienten aus England. Hinzu kommt laut «The Lancet»: Mit der Operation geht das Risiko von Infektionen und Blutgerinnseln einher.
Auch Dominik Meyer, Chefarzt an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich, sagt: «Der Nutzen dieser Operation wird überschätzt.» Chirurgen würden zu oft operieren. Patienten, bei denen bloss der Schleimbeutel im Gelenk entzündet ist, rät Meyer von der Operation ab. Nur wenn zusätzlich eine Sehne angerissen ist, habe der Eingriff einen leichten Vorteil: «Dann kann er die schmerzfreie Zeit um einige Jahre verlängern.»
Sehnenschäden kommen laut Meyer vor allem bei über 70-Jährigen vor. Es sei aber meistens nicht nötig, den Sehnenriss zu flicken: «Viele Patienten kommen gut ohne diese Operation zurecht, manche bemerken den Sehnenriss gar nie.»
Entzündungshemmer und Kortison können helfen
Der orthopädische Chirurg Luzi Dubs aus Winterthur ZH sagt, er habe bei Patienten ohne Sehnenrisse «seit Jahrzehnten» keine Engpass-Operationen mehr durchgeführt. Dubs empfiehlt, zuerst eine Spritze mit Kortison zu machen. Bei vielen Patienten sei das Problem damit gelöst. Dies sei zudem die günstigste Behandlung. Auch Tabletten mit Entzündungshemmern könnten helfen.
Schulterchirurg Felix Zeifang von der Ethianum-Klinik in Heidelberg (D) rät, die Schmerzen zuerst ein halbes Jahr lang mit Physiotherapie und Medikamenten zu behandeln. Es gebe keinen Zeitdruck: «Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Schmerzen nicht zurückgehen.» Schon vor fünf Jahren zeigte eine schwedische Studie: Bei den meisten Patienten reicht eine Physiotherapie aus, eine Operation ist nicht nötig (Gesundheitstipp 9/2012).
Auch eine neue Übersichtsstudie der Walliser Fachhochschule mit über 10000 Patienten kommt zum Schluss, dass Physiotherapie die besten Resultate bringt. Die Autoren der Studie schreiben, Ärzte sollten sie allen Betroffenen verordnen. Luzi Dubs schränkt allerdings ein: Als Erstbehandlung sei Physiotherapie nicht für alle berufstätigen Patienten gleichermassen geeignet. Denn es bestehe die Gefahr, dass sie während mehreren Wochen arbeitsunfähig würden, weil der Heilungsprozess langsamer verläuft und die Patienten länger unter Schmerzen leiden.
Jürg Schibler entschied sich gegen die Operation. Stattdessen verschrieb ihm sein Arzt Physiotherapie. Und er hörte auf, regelmässig Volleyball zu spielen, um sein Schultergelenk zu schonen. «Der Physiotherapeut zeigte mir Übungen, die ich zu Hause machen konnte.» Die Therapie und die geringere Belastung der Schulter brachten den gewünschten Erfolg. «Heute geht es mir tipptopp», freut er sich. «Ich habe keine Schmerzen mehr – selbst wenn ich ab und zu wieder mal Volleyball spiele.»
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