Die meisten Ärzte verschreiben ihren Patienten bei Depressionen Medikamente wie Cipralex, Efexor oder Remeron. Doch ob diese Mittel die Seele wieder ins Lot bringen, dazu gibt es praktisch keine unabhängigen Untersuchungen. Dies beklagt der Arzt Etzel Gysling. Der Herausgeber des unabhängigen Fachblatts «Pharma-Kritik» bemängelt: «Die Hersteller haben fast alle Studien finanziert.» Studien, die keine Vorteile eines Medikaments ergeben, würden einfach nicht veröffentlicht.
Eine Untersuchung im renommierten Fachblatt «British Medical Journal» bestätigt diese Befürchtungen. Die dänische Forscherin Emma Maund von der unabhängigen Expertengruppe Cochrane Collaboration in Kopenhagen nahm den Wirkstoff Duloxetin unter die Lupe. Der Wirkstoff ist im Medikament Cymbalta der Herstellerin Eli Lilly enthalten. Fazit: Auch Ely Lilly veröffentlichte nur die Daten, die ihr Medikament in ein gutes Licht rückten.
Das Team um die dänische Forscherin forderte von der europäischen Arzneimittelbehörde Protokolle zu neun Studien mit rund 2900 Testpersonen an. Sie alle schluckten den Wirkstoff Duloxetin. Bei den Protokollen handelt es sich um Rohdaten der Studien.
Unvorteilhafte Studien nicht publiziert
Maund fand mit ihrem Team heraus, dass Herstellerin Ely Lilly nur von 7 der 9 Untersuchungen über Duloxetin die Daten veröffentlichte – die alle ein positives Bild von Duloxetin vermittelten. In den zwei Untersuchungen, die Eli Lilly nicht veröffentlichte, zeigt Duloxetin aber keine Wirkung. Zudem deckten sich die positiven Resultate einer veröffentlichten Studie nicht mit den Rohdaten. Diese ergaben keinen Nutzen für Duloxetin, wie Maund feststellte. Die Forscherin entdeckte auch, dass «ausführliche Daten zu schweren Nebenwirkungen» in den veröffentlichten Artikeln nicht beschrieben waren – etwa das Auftreten von Suizidgedanken.
Duloxetin ist nicht das einzige Antidepressivum, bei dem Fachleute unsicher sind, ob und wie gut es wirkt. Schon 2009 hatte das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unveröffentlichte Daten zum Wirkstoff Reboxetin ausgewertet. Er ist im Medikament Edronax von Hersteller Pfizer enthalten. Das Institut stellte beim Prüfen der Rohdaten fest, dass es nicht besser wirkt als ein Scheinmedikament und mehr schadet als nützt – im Gegensatz zu den veröffentlichten Artikeln von Pfizer.
Ähnliches ist bekannt vom Wirkstoff Paroxetin von Glaxo Smith Kline, der im Medikament Deroxat vorkommt. Eine Analyse der Studienprotokolle von Paroxetin ergab, dass es bei Kindern nicht wirkte – aber schwere Nebenwirkungen hatte. So dachten auch sie im Durchschnitt häufiger an Suizid. Doch davon war in den Fachartikeln nichts zu lesen. Erst als die Ärzte in England dies bei ihren Patienten feststellten, verboten die Behörden den Wirkstoff für unter 18-Jährige.
Kaum mehr Nutzen als Scheinmedikamente
In den letzten Jahren haben Studien immer wieder aufgezeigt, dass Medikamente gegen Depressionen weniger gut wirken als die Hersteller versprechen. Peter Bäurle, Chefarzt an der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Aadorf TG, schätzt, dass sie im Durchschnitt nur etwa 10 Prozent besser wirken als ein Scheinmedikament: «Diesem sehr kleinen Wirkungsvorteil stehen aber die erheblichen Nebenwirkungen gegenüber.» Dazu gehören Unruhe, Schlafstörungen, Zunahme von Gewicht oder Müdigkeit. Manche Nebenwirkungen können noch Jahre nach dem Absetzen anhalten.
Fachleute empfehlen deshalb, bei leichten bis mittelschweren Depressionen auf chemische Medikamente zu verzichten. Bäurle: «Eine Kombination aus Johanniskraut und Psychotherapie hilft am besten.» Für die Psychotherapie gibt es ebenfalls gute Nachweise, dass sie hilft. Sie geht den Ursachen auf den Grund und zeigt den Patienten, wie sie Situationen, Verhaltensweisen und Gedanken aus eigener Kraft verändern können.
Johanniskraut: Weniger Nebenwirkungen
Die gute Wirkung von Extrakten aus Johanniskaut belegen auch neue Studien von Forschern der Cochrane-Organisation. Und, so Bäurle: «Johanniskraut hat deutlich weniger Nebenwirkungen, beim Absetzen verschwinden sie zudem wieder.» Studien haben auch gezeigt, dass viel Bewegung, zum Beispiel regelmässiges Joggen, die depressiven Episoden verkürzen können.
Erst bei schweren Depressionen scheinen Medikamente besser zu wirken als Johanniskraut. Die meisten Fachgesellschaften in Europa raten zu Medikamenten wie Deroxat, Zoloft oder Fluctine, die den Botenstoff Serotonin im Gehirn erhöhen können. Patienten vertragen sie in der Regel am besten. Allerdings brauchen die Patienten in den ersten Wochen engen Kontakt zum Psychiater, da sie das Suizidrisiko erhöhen können.
Eli Lilly bestreitet gegenüber dem Gesundheitstipp, nicht alle Studien zu Duloxetin veröffentlicht zu haben. Auch die Rohdaten hätte man in verschiedenen Artikeln einfliessen lassen. Die Ergebnisse seien aber nicht aussagekräftig genug gewesen. Insgesamt habe Ely Lilly über 40 Studien zu Duloextin veröffentlicht.
Merck Sharp & Dohme, Hersteller von Remeron, sagt, alle registrierten Studien könne man öffentlich einsehen. Deroxat-Hersteller Glaxo Smith Kline verweist auf Swissmedic sowie Arzneimittelbehörden in Europa und den USA, die alle Paroxetin zugelassen hätten. Das Unternehmen habe den Wirkstoff nie für Kinder und Jugendliche empfohlen, dafür sei er auch nicht zugelassen.
Mehr Infos:
Gratis-Merkblätter: «So können Sie Depressionen bekämpfen» und «Homöopathie und Pflanzen gegen leichte Depressionen». Herunterladen auf www.gesundheitstipp.ch oder zu bestellen gegen ein adressiertes und frankiertes C5 Couvert an:
Gesundheitstipp. (Stichwort: «Depression» oder «Homöopathie»),
Postfach 277,
8024 Zürich.
Meditel:
Depression: Haben Sie Fragen zu Ihrem Medikament? Die Gesundheitstipp-Ärztinnen beraten Sie gerne am Telefon.