Mit einer Wurzelbehandlung können Zahnärzte einen maroden Zahn oft noch retten. Sie entfernen dabei den Nerv, füllen den Kanal mit Zement und setzen eine Krone auf den Zahn. Der Zahn ist dann zwar tot, erfüllt aber seine Funktion. Zahnärzten, die nach dem Prinzip der «biologischen Zahnmedizin» arbeiten, ist dies ein Dorn im Auge – so etwa Karl Ulrich Volz. Er ist Geschäftsführer der Swiss Biohealth Clinic in Kreuzlingen TG. Seine Klinik warnt, wurzelbehandelte Zähne seien Bakterienherde und könnten «Leichengifte» absondern, die ins Blut gelangen und so Nerven und Gewebe schädigen. Dies könne «schwere Folgeerkrankungen» auslösen. Deshalb will Volz solche Zähne ziehen.
Auch Implantate aus Metall wie Titan seien problematisch für den Körper, schreibt die Klinik auf ihrer Website. Manche Menschen seien darauf allergisch. Ausserdem verstärke Titan elektromagnetische Strahlung, zum Beispiel von Handymasten. Die Klinik bietet eine «Metallsanierung» an, bei der sie die Implantate aus Titan entfernt. Auch Füllungen aus Amalgam will Volz’ Klinik entfernen. Das Material enthalte «hochgiftiges» Quecksilber. Selbst geringe Mengen an Amalgam könnten zu schweren Krankheiten führen.
Stattdessen wirbt die Klinik für Keramikimplantate. Dank diesen gebe es weniger Unverträglichkeiten, auch Bakterien könnten weniger gut eindringen.
Über ein Dutzend Zahnärzte in der Schweiz haben sich der biologischen Zahnmedizin verschrieben. So etwa Zahnarzt Andrej Früh aus Schötz LU. Er schreibt auf seiner Website, Zähne mit Wurzelbehandlung würden «hochgiftige und krebserregende» Stoffe absondern. Zahnärztin Nadica Ewald aus Herisau AR mahnt, dass solche Zähne «Stress, Grippe oder Krebs» verursachen könnten.
Viele Fachleute halten nichts von diesen Theorien. Zahnarzt Jens Christoph Türp ist Professor am Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel und Mitglied des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin. Er sagt: «Bisher gibt es keine Studien, die belegen, dass man durch das vorsorgliche Ziehen von wurzelbehandelten Zähnen Krankheiten vermeiden kann.»
Der Eingriff belastet die gesunden Zähne
Auch der Winterthurer Zahnarzt Peter Zuber kritisiert solche Eingriffe. Er sagt: «Wenn man wurzelbehandelte Zähne zieht, entstehen oft noch viel grössere Probleme.» Die entstandene Lücke in der Zahnreihe muss mit teuren Implantaten, Brücken oder Teilprothesen gefüllt werden, damit die ganze Zahnreihe stabil bleibt. Dies wiederum könne die noch vorhandenen Zähne zusätzlich belasten.
Zuber sagt: «Die meisten Zähne machen nach einer korrekten Wurzelbehandlung während Jahrzehnten keine Probleme. Man sollte sie belassen.» Selbst wenn solche Zähne schmerzen, soll man sie nicht sofort ziehen, sondern zuerst die Ursache dafür suchen. Zahnarzt Zuber sagt: «Oft lässt sich das Problem auf einfache Weise beheben.»
Auch das Entfernen von Titanimplantaten findet Zuber unnötig: «Sie machen bei den meisten Patienten keine Probleme und verheilen sehr gut.» Keramikimplantate hingegen würden weniger gut einheilen. Das bestätigt eine Übersichtsstudie der Universität Basel von 2019. Ausserdem brechen Keramikimplantate leichter als Titan. Dies zeigten Forscher der Universität Sichuan in China.
Ob Amalgamfüllungen für die Patienten schädlich sind, ist bis heute umstritten. Die US-amerikanische Heilmittelbehörde FDA rät davon ab, intakte Amalgamfüllungen zu entfernen, wenn sie keine Beschwerden verursachen. Denn bei diesem Eingriff können grosse Mengen Quecksilber in den Körper gelangen.
Klinik verteidigt ihre Methoden
Die Swiss Biohealth Clinic schreibt, natürlich gebe es keine eigentliche Definition «Leichengifte». Es handle sich um Stoffe, die beim Ersetzen von Eiweissen entstünden. Das passiere auch bei Leichen. Nach dem Ziehen von Implantaten setze man sofort neue ein. Dadurch entstünden keine Zahnlücken und kein Knochenabbau. Implantate aus Keramik seien genauso stabil wie solche aus Titan. Das Verheilen von Keramikimplantaten könne eine aufwendige Betreuung zur Folge haben, der Patient merke aber keinen Unterschied. Sanierungen von Amalgamfüllungen würden sie nur bei Beschwerden und unter «grösstmöglichen Vorkehrungen» machen.
So finden Sie einen guten Zahnarzt
- Gehen Sie zu einem Zahnarzt, den Ihnen Bekannte empfohlen haben.
- Gehen Sie nicht in ein grosses Zentrum. In solchen Zahnarztkliniken wechseln die Zahnärzte häufig. Die Nachbetreuung beim selben Zahnarzt ist oft nicht gewährleistet.
- Wählen Sie einen Zahnarzt, welcher der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO) angehört. Diese Zahnärzte müssen sich regelmässig weiterbilden. Sso.ch -> Die SSO -> Sektionen -> Kanton wählen -> Nach Mitgliedern suchen.
- Wählen Sie bei Implantaten unbedingt einen Zahnarzt mit Fachausbildung, zum Beispiel in Implantologie: Implantatstiftung.ch.
- Holen Sie vor teuren Behandlungen immer eine Zweitmeinung ein – auch in Notfällen.
- Verlangen Sie immer einen Kostenvoranschlag.
- Fragen Sie bei teuren Behandlungen nach Alternativen.