Andreas Loosli, immer wieder passieren Unfälle mit Stieren. Haben Sie keine Angst?
Nein, ich habe Respekt vor den Munis, aber keine Angst.
Warum nicht? Stiere sind unberechenbar.
Das stimmt. Die Munis wollen ihr Territorium verteidigen. Man muss sie immer im Auge behalten. Am meisten Respekt habe ich vor Simmentaler Munis. Die Bauern lassen deren Hörner in der Regel stehen. Das sieht zwar schön aus, erhöht aber das Risiko. Deshalb führe ich diese Tiere an einer 2 Meter langen Stange, die am Nasenring befestigt ist. Wenn ein Stier nervös wird, drehe ich die Stange ein bisschen.
Genügt das?
Meistens schon. Er merkt dann, dass ich der Chef bin. Wenn das nichts nützt, um ihn zu beruhigen, lasse ich ihn mit der Stange rennen. Er kommt sowieso nicht weit, denn das Areal ist umzäunt.
Wurden Sie schon einmal von einem Stier angegriffen?
Nein. Seit ich hier arbeite, ist noch nie etwas passiert. In unserem Betrieb leben zwar viele Stiere, aber wir haben auch das nötige Fachwissen, um mit ihnen so umzugehen, dass es keine Unfälle gibt. Wenn ein Muni durchdreht, hole ich Unterstützung bei meinen Kollegen. Dann versuchen wir zu dritt oder zu viert, den Stier wieder einzufangen, nachdem er sich beruhigt hat.
Wie schützen Sie sich vor Angriffen?
Ich beobachte die Tiere ständig und überlege mir: Was haben sie im Sinn? Wie könnten sie reagieren? Zudem haben wir hier gute Sicherheitsmassnahmen. Im Gebäude, in dem wir den Stieren die Samen abnehmen, stehen senkrechte Metallrohre. Dorthin kann ich im Notfall flüchten, damit mich das Tier nicht an die Wand drückt. Und wenn ich in den Stall gehe, spreche ich mit den Munis, damit sie nicht erschrecken.
Vor zwei Jahren wurde eine Bäuerin in Liestal getötet. Was lief dort falsch?
Vielleicht hatte die Frau zu wenig Respekt vor dem Stier. Sie wollte die Herde kontrollieren und wurde von einem 2-jährigen Muni tödlich verletzt. Ich verstehe heute noch nicht, warum sie zur Herde gegangen ist. Ich war schockiert – und ich kannte die Frau gut. Sie war im neunten Monat schwanger.
Wie sollen sich Wanderer verhalten, wenn sie einem Stier begegnen?
Wenn man ihn früh genug sieht, sollte man einen grossen Bogen um ihn machen und auf keinen Fall quer durch die Weide gehen. Denn er will seine Herde beschützen. Falls man dennoch in die Nähe eines Stiers gerät, darf man nicht mit den Armen herumfuchteln und ihm nicht in die Augen schauen. Sonst reizt man ihn noch mehr. Dann sollte man sich ruhig und langsam entfernen.
Zur Person: Andreas Loosli
Der 56-Jährige arbeitet seit drei Jahren als Stierpfleger bei der Firma Swissgenetics in Mülligen AG. Zu seinen Aufgaben gehört es, Stieren die Samen abzunehmen. Swissgenetics verkauft sie an Bauern, die keine eigenen Stiere besitzen. Zuvor war Loosli rund 25 Jahre lang Landwirt im Berner Jura und im Baselbiet.