Instagram riss mich psychisch in ein tiefes Loch. Ich war 18 Jahre alt und verglich mich ständig mit den Frauen, die sich auf der Internetplattform präsentierten. Ich wollte genauso schön und schlank sein wie sie. Ich liess beim Essen den Zucker weg, nahm kaum noch Kohlenhydrate und Fett zu mir. Die Kilos purzelten rasch, und mit dem Erfolg kam der Zwang, mein Essen zu kontrollieren. Es eskalierte. Ich konnte kaum noch an etwas anderes denken.
Entweder ass ich sehr gesund oder fast nichts. Meine erste Mahlzeit nahm ich oft erst gegen 14 Uhr ein. Deshalb hatte ich über Jahre extremen Hunger. Lange hielt ich das aus. Dann gab es Zeiten, als ich dem Hunger nachgab und übertrieben viel ass. So habe ich mal innert kürzester Zeit zwölf Kilo zugenommen. Die Kilos hungerte ich schnell wieder weg. Essanfälle kompensierte ich mit übermässig viel Sport. Ich war dann täglich bis zu zwei Stunden lang im Fitnessstudio und ging nachher noch joggen. Jeden Tag stand ich auf die Waage, und wenn sie nur 200 Gramm mehr anzeigte, war ich am Boden zerstört.
Im Sommer 2020 war ich sogar vier Wochen lang in einer Klinik. Dort gab es noch viel schlimmere Fälle als mich. Diese abgemagerten Frauen zu sehen, ist mir eingefahren. Mir war klar: So wie sie will ich nie werden.
Inzwischen ist es viel besser geworden. Heute helfen mir Netzwerke wie Instagram und Youtube sogar. Sie haben für mich aber eine ganz andere Funktion: Ich möchte anderen Betroffenen helfen. Ich glaube nämlich, dass vielen jungen Frauen gar nicht bewusst ist, was sie sich mit einer Essstörung antun. Ich möchte an meinem Beispiel zeigen, dass es kein schönes Leben ist. Ich habe so vieles verpasst. Egal, wo ich war: Wichtig war nur, ob und was es zu essen gibt. Ich ertrug es nicht, wenn mir Leute beim Essen zuschauten. Darum verabredete ich mich nicht mehr. Auch körperlich ging es mir nicht gut: Immer tat mir etwas weh. Ich war müde und zugleich so angespannt, dass ich nicht schlafen konnte. Ich litt unter Haarausfall, meine Periode blieb über ein Jahr aus. Das ist doch kein Leben!
Wenn ich für Instagram Beiträge und Videos für meinen Youtube-Kanal «Enjoyselflove» kreiere, verinnerliche ich nochmals, was ich da sage. Für die Videos schminke ich mich und mache mich zurecht. Das ist für mich aber kein Widerspruch zu den Inhalten. Denn Schminken hat nichts mit meinem Körpergewicht zu tun: Es tut mir einfach gut und gehört zu mir und meinem Beruf als Kosmetikerin.
Ich weiss, dass ich es dieses Mal schaffe! Zwar gibt es immer noch Tage, an denen ich denke, zu viel gegessen zu haben. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass ich in den Teufelskreis aus Hungern, Essanfällen und Sport gerate. Dann hilft es mir, an die frische Luft zu gehen, laute Musik zu hören oder einfach zu weinen.
Zum ersten Mal seit acht Jahren freue ich mich auf Weihnachten. Der Gedanke an ein üppiges Essen stresst mich nicht. Kürzlich habe ich sogar Mailänderli gebacken und ganz normal davon gegessen. Ich freue mich darauf, mit anderen zusammen zu sein. Ich möchte die Welt draussen wieder spüren. Ich will ausgehen, neue Leute kennenlernen und einen Freund haben, der mich so akzeptiert, wie ich bin.
Instagram: Scheinwelt kann in die Magersucht führen
Instagram ist eine Internetplattform, die von Bildern und Videos lebt. Frauen präsentieren dort ihre scheinbar perfekten Körper. Nicht selten haben sie die Bilder zuvor bearbeitet, um noch dünner zu wirken. Daran orientieren sich viele Mädchen und junge Frauen. Studien zeigten: Je häufiger Jugendliche Instagram nutzten, umso höher ist ihr Risiko für Essstörungen.
Einige Benutzerinnen machen ihre Essstörung auf Instagram öffentlich oder geben Tipps. Fachleute finden das gut, weil Betroffene sich mit ihnen identifizieren können.
Informationen und Beratung
Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen, www.aes.ch, beratung@aes.ch