Herr Amstutz, wann mussten Sie das letzte Mal jemanden aus einem Klettersteig retten?
Das war im letzten Sommer.
Was war passiert?
Der Mann war im obersten Teil der Wand körperlich und geistig so erschöpft, dass er sich nicht mehr weiter und auch nicht zurück getraute. Dummerweise war es an einer exponierten Stelle, an der man 500 Meter in die Tiefe blicken kann.
Wie brachten Sie ihn dazu, weiterzuklettern?
Gar nicht. Wir mussten ihn mit dem Helikopter aus der Wand holen. Es brauchte einiges an Überzeugungskraft, bis der Mann bereit war, sich ins Windenseil des Helikopters zu hängen.
Wie oft müssen Sie Alpinisten aus einem Klettersteig retten?
Ein paar Mal pro Jahr. Die Verletzungsgefahr bei einem Sturz ist gross. Man kann von Glück reden, wenn man sich nur Prellungen zuzieht. Bleibt eine Person mit dem Fuss in einem Stahlbügel hängen, sind die Verletzungen schwer. Manche geraten in einen Steinschlag oder in ein Gewitter, weil sie die Tour zu spät starteten. Und wieder andere sind einfach erschöpft, weil sie ihre Kräfte falsch einschätzten.
Ist den Leuten bewusst, wie gefährlich Klettersteige sein können?
Nicht allen. Viele Leute kennen die alpinen Gefahren nicht. Oft haben sie keine Ahnung, was sie sich im alpinen Gelände zumuten können. Sie sind nicht trittsicher. Das führt dann zu Unfällen.
Täuschen die Drahtseile und Eisenbügel der Klettersteige eine falsche Sicherheit vor?
Ja. Die Leute sehen eine feste Installation aus Stahl. Die Klettersteigausrüstung mit Helm und Klettergurt sowie die Sicherung durch Karabiner an Drahtseilen erzeugen in den Köpfen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.
Müssten Sie die Klettersteige nicht besser überwachen?
Die Klettersteige stellen wir kostenlos zur Verfügung. Es kam auch schon die Idee auf, künftig Eintritt zu verlangen. Dann wäre jemand dort, der das Ganze überwacht.
Das wäre doch eine gute Idee.
Nein, das finde ich nicht. Dann würde es rechtlich für uns anders aussehen. In meinen Augen begeht jede Person die Klettersteige auf eigene Gefahr und Verantwortung.
Aber Sie tragen doch auch eine Verantwortung, weil Sie den Steig erstellt haben.
Wir sorgen dafür, dass die Installation sicher ist. Der Rest liegt in der Verantwortung der Berggänger. Man macht auch nicht den Staat verantwortlich, wenn ein Autofahrer auf einer Strasse verunfallt.
Der Autofahrer muss eine Prüfung bestehen, bevor er auf die Strasse darf. Wieso gibt es keine Kurspflicht für Klettersteige?
Das ist eine interessante Idee. Bergführer bieten übrigens Klettersteig-Ausbildungskurse an.
Zur Person: Albin Amstutz
Er ist seit bald 20 Jahren Bergführer. Als Rega-Spezialist für Rettungen aus dem Helikopter setzt er für verunfallte Berggänger sein Leben aufs Spiel. in seiner Freizeit geht der 47-Jährige klettern oder fährt Mountainbike. Amstutz lebt in Engelberg OW.