Der 24. November 2006 veränderte Raffael Künzis Leben radikal. Im Schulturnen soll die Klasse eine Trampolin-Übung einstudieren. Raffael will einen Salto rückwärts machen. Doch beim Absprung rutscht er aus. Er kann sich in der Luft nicht drehen und landet kopfvoran auf dem Trampolin.
«Ich konnte mich nicht mehr bewegen, am ganzen Körper kribbelte es», erzählt der heute 19-Jährige aus Matzingen TG. «Ich wusste gar nicht, was los war, ich war ja weich gelandet auf dem Sprungtuch.»
Die Rega fliegt ihn ins Spital. Rasch wird klar: Raffael hat zwei Halswirbel gebrochen. Er wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müssen. Er ist Tetraplegiker. Die Beine kann er nicht mehr bewegen, und in der rechten Hand hat er fast keine Kraft mehr. Er schreibt heute mit der linken.
«Ich hätte nie gedacht, dass ein Salto auf dem Trampolin so gefährlich sein kann», sagt er. «Ich dachte, solange ich nicht vom Trampolin falle, kann nicht viel passieren.» Erst als ihm der Arzt im Spital sagte, wie unglaublich stark der Schlag auf sein Genick war, wurde ihm klar, welche Kräfte auf einem Trampolin wirken.
Bis vor kurzem war Trampolinspringen den Turnvereinen und dem Schulturnen vorbehalten. In der Regel achten dort fachkundige Trainer darauf, dass Sicherheitsregeln eingehalten werden. Doch heute stellen Experten einen beunruhigenden Trend fest: In immer mehr Gärten und vor zahlreichen Ausflugsrestaurants steht ein Trampolin.
Trampolin-Opfer mit «fürchterlichen Brüchen»
«Die Verkaufszahlen von Freizeit-Trampolinen sind in den letzten Jahren explodiert», stellt Fränk Hofer fest, Leiter der Abteilung Sport bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu. Entsprechend zugenommen haben auch die Trampolin-Unfälle. Zwar gibt es für die Schweiz keine verlässlichen Daten – die Unfallstatistik erfasst nur Erwerbstätige, und neun von zehn Trampolin-Unfallopfern sind Kinder und Jugendliche. Aber Zahlen aus dem Ausland sprechen eine deutliche Sprache: 2002 mussten in Grossbritannien 11 500 Menschen wegen eines Trampolin-Unfalls ins Spital. Und alleine in der österreichischen Stadt Graz – sie ist grösser als Basel, aber kleiner als Zürich – landeten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 72 Kinder und Jugendliche nach dem Trampolinspringen in der Chirurgie. Das sind viermal so viele wie noch vor zwei Jahren.
In der Schweiz bestätigen Kinderchirurgen den traurigen Trend. «Wir haben immer wieder Patienten, die auf dem Trampolin verunfallen», sagt etwa Marcus Schwöbel, Chefarzt am Kinderspital Luzern. Und Stefan Dierauer vom Kinderspital Zürich berichtet: «Alleine über Pfingsten mussten wir wegen Trampolin-Unfällen drei Kinder mit zum Teil fürchterlichen Brüchen operieren.»
Sicherheits-Experte stellt zahlreiche Mängel fest
Der Grund für die Unfälle sind oft unsichere Trampoline oder mangelnde Instruktion der Hersteller und Anlagebetreiber. Der Gesundheitstipp wollte der Sache auf den Grund gehen. Zusammen mit dem bfu-Experten Hofer begutachtete er zehn öffentlich zugängliche Trampoline vom Flughafen Zürich bis ins Berner Oberland.
Das Resultat ist ernüchternd: Kein einziges Trampolin erreichte die Note «sehr gut». Zwei waren gut, zwei genügend, der Rest ungenügend (siehe Tabelle im pdf-Artikel).
Nur die Hälfte der Trampoline in der Stichprobe hatte ein Fangnetz. Dabei wäre dies laut Experten der sicherste Weg, Unfälle zu verhindern.
Doch auch ein Fangnetz schützt nur optimal, wenn es in einwandfreiem Zustand ist. Beim Erlebnisbauernhof Jucker Farmart in Seegräben ZH war dies nicht der Fall: Teilweise waren die Netze heruntergerutscht und hingen nur noch knapp über Hüfthöhe. An einigen Stellen war die Aufhängung behelfsmässig mit Schnur geflickt. Jucker Farmart schreibt dem Gesundheitstipp, man werde die Trampoline «fachmännisch instand stellen und laufend prüfen» lassen.
Bei mehreren Trampolinen ohne Fangnetz stellte bfu-Experte Fränk Hofer gefährliche Sicherheitsmängel fest. Zum Beispiel beim Hotel Restaurant Simmenfälle in Lenk BE: Unmittelbar neben dem Trampolin hatte es Pflöcke eines behelfsmässigen Zauns, der ein frisch angesätes Rasenstück absperrte. «Nicht auszudenken, wenn jemand vom Trampolin geschleudert wird und auf einem solchen Pflock landet», so Hofer.
Zudem war das Polster, das Rahmen und Federn des Trampolins abdecken sollte, teilweise defekt. «Das kann schlimme Verletzungen geben», kritisiert Fränk Hofer.
Kleine Kinder sind besonders stark gefährdet
Auf das Trampolin in Lenk führte eine Leiter. Sämtliche Sicherheitsfachleute empfehlen dagegen, Trampoline nicht mit Leitern auszustatten. So sei gewährleistet, dass keine kleinen Kinder das Trampolin benützten. «Denn Kinder unter sechs Jahren haben ein erhöhtes Risiko zu verunfallen», so Hofer.
Wie zum Beispiel Andreas Litschi aus Einsiedeln SZ. Am 12. Mai turnt der Zweieinhalbjährige mit seinem Vater auf dem Trampolin im Garten. Einen Monat zuvor hatte die Familie das Trampolin für Andreas und seinen vier Jahre alten Bruder gekauft.
Plötzlich springt Andreas höher als sonst, verliert in der Luft das Gleichgewicht und landet auf der Hüfte. «Er schrie wie wahnsinnig», berichtet seine Mutter Luzia, «und die Hüfte schwoll sofort an.» Im Spital stellen die Ärzte fest: Andreas hat den Oberschenkel gebrochen. Zweieinhalb Wochen muss der Kleine einen Gips tragen, über beide Beine.
Heute ist der Bruch verheilt. Doch Andreas hat das Erlebnis noch nicht verdaut: Er hat noch nicht wieder begonnen zu laufen und hat Angst vor Höhen. «Sobald ich ihn auf den Wickeltisch lege, muss ich ihn festhalten, um ihm die Angst zu nehmen», sagt Luzia Litschi.
Wenn mehrere Personen auf einem Trampolin sind, ist es fast immer die leichteste Person, die sich verletzt. Das musste auch Ronja Wirz aus Hombrechtikon ZH erfahren. Die Zehnjährige spielte mit drei grösseren Kindern Blindekuh auf dem Trampolin. Plötzlich spickte sie hoch und fiel auf den Ellbogen.
Als die Schmerzen am nächsten Tag immer stärker wurden, fuhr der Vater Ronja zum Arzt – und der stellte fest: Der Knochen ist gebrochen. Vier Wochen lang musste Ronja den Arm im Gips tragen. «Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert», sagt ihre Mutter Rahel Wirz. «In Zukunft werden wir die Trampolin-Regeln strenger einhalten.»
Drei Viertel aller Unfälle passieren, wenn mehrere Personen gleichzeitig auf einem Trampolin sind. Deshalb lautet die wichtigste Trampolin-Regel: nur eine Person aufs Mal. In der Stichprobe war diese Regel nur gerade beim Trampolin auf der Besucherterrasse des Flughafens Zürich und beim Jucker Farmart deutlich sichtbar angeschlagen. Anderen Trampolin-Betreibern ist diese Regel dagegen unbekannt – oder sie ignorieren sie bewusst.
Fehlende oder falsche Hinweise zur Benutzung
Überhaupt keine Verhaltensregeln waren beim Restaurant Strebel in Geltwil AG und im Strandbad Gunten BE angeschlagen. An anderen Orten standen sogar falsche Regeln: «nie mehr als 3 Kinder gleichzeitig» beim Restaurant zur Post in Remetschwil AG, «max. 4 Personen» beim Gasthaus St. Meinrad auf dem Etzelpass und sogar «Maximum 5 Kinder» beim Restaurant Simmenfälle. Beim Indoor-Kinderspielplatz «Nilpfi» in Solothurn mahnt ein Schild zu «genügend Abstand» – zusammen mit einer Zeichnung, die zwei Nilpferde auf einem Trampolin zeigt.
«Mir ist völlig schleierhaft, wie die Betreiber auf solche Regeln kommen», sagt Fränk Hofer von der bfu. «Sämtliche Unfallverhütungsstellen empfehlen, dass nur eine Person aufs Mal ein Trampolin benützt.»
Die Verantwortlichen reagieren unterschiedlich auf die Kritik des Experten. Fredy Diethelm vom Strandbad Gunten schreibt: «Wenn die Badi offiziell geöffnet ist, stehen beim Eingang Plakate und Schilder mit Badi-Regeln. Dort wird auch auf die Trampoline Bezug genommen.» Bei der Stichprobe am 13. Juni war das Tor zur Badi geöffnet, der Gesundheitstipp sah aber keine solchen Schilder. Punkto Fangnetze glaubt es Diethelm besser zu wissen als die Sicherheitsfachleute: «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Kinder und Erwachsene auf einem Trampolin ohne Fangnetz weniger austoben.» Zudem trügen die Eltern «eine Aufsichtspflicht».
Erstaunlich die Stellungnahme des «Nilpfi» in Solothurn: Dort war offenbar bekannt, dass nur eine Person aufs Trampolin dürfte – mehr noch: «Bis vor wenigen Monaten war die Trampolin-Anlage auch so gekennzeichnet», schreibt die «Nilpfi»-Leitung dem Gesundheitstipp. «Es ist uns aber nicht gelungen, dies durchzusetzen.» Deshalb habe man die Beschriftung geändert.
Beat Christen, Wirt des Restaurants Chemihütte, will demnächst ein neues Trampolin anschaffen. Dieses werde ebenfalls kein Fangnetz haben, aber ebenerdig verlegt sein.
Viele Verantwortliche unterschätzen die Gefahr
Das Restaurant St. Meinrad auf dem Etzelpass reagierte gar nicht auf die Kritik. Das Restaurant Simmenfälle in Lenk und das Restaurant zur Post in Remetschwil teilten dem Gesundheitstipp dagegen mit, man habe jetzt Schilder angebracht, wonach nur eine Person aufs Mal das Trampolin benützen dürfe. Othmar Henzen, Wirt des Restaurants Simmenfälle, zweifelt allerdings, «ob diese Regel durchsetzbar ist, wenn eine ganze Schulklasse ankommt».
Auch die defekten Polster wolle er ersetzen, verspricht Henzen am Telefon, und der gefährliche Zaun sei bereits entfernt.
Beat Murer, Wirt des Restaurants Strebel, will dagegen nichts ändern. Man habe die zwei Trampoline aus dem Küchenfenster im Blickfeld und interveniere jeweils, wenn sich Gefahr abzeichne. Verhaltensregeln hält er für unnötig: «Das sind grosse Trampoline, da fällt niemand herunter. Einen Unfall gab es noch nie.»
Auch die meisten anderen Betreiber geben an, es habe noch nie Verletzte gegeben. Im «Nilpfi» gab es laut Betreibern bis jetzt «einen verstauchten Fuss und eine Beule». Raffael Künzi, der seit dem missglückten Salto im Rollstuhl sitzt, wird nie mehr ein Trampolin benutzen können. Auch von seiner grossen Leidenschaft, dem Orientierungslauf, musste er Abschied nehmen. Doch Trübsal blasen mag er deswegen nicht. «Ich habe mein ganzes Leben noch vor mir, ich will keine Zeit verschwenden mit Selbstmitleid.»
Lieber freut er sich über jene Dinge, die er kann. Zum Beispiel über seine Leistung in der Schule: Nach acht Monaten im Paraplegikerzentrum Nottwil ging er zurück ans Gymnasium – in dieselbe Klasse wie zuvor. Und vor wenigen Tagen hat er zusammen mit seinen Klassenkameraden die Maturaprüfung abgelegt.
Sicheres Trampolin
- Stellen Sie ein Fangnetz rund ums Trampolin auf.
- Montieren Sie keine Leiter.
- Stellen Sie das Trampolin auf weichen Untergrund (Gras, Rindenschnitzel, Sand).
- Trampoline ohne Fangnetz brauchen ein Polster, das Federn und Rahmen vollständig abdeckt und eine andere Farbe als das Sprungtuch hat.
- Halten Sie einen Sicherheitsabstand von 2,5 Metern zu allen Hindernissen ein, sofern kein Fangnetz vorhanden ist.
- Kaufen Sie ein möglichst grosses Trampolin.
Beim Springen
- Sorgen Sie dafür, dass immer nur eine Person auf dem Trampolin herumturnt.
- Kinder unter sechs Jahren dürfen nicht aufs Trampolin.
- Versuchen Sie keinen Salto.
- Springen Sie nur barfuss oder in leichten Turnschuhen.
- Springen Sie nicht vom Trampolin herunter.
- Springen Sie immer in der Mitte des Trampolins.
Quelle: bfu