Handy-Antennen: Bahnpassagiere unter Dauerbestrahlung
Die SBB rüsten ihre Züge laufend mit Antennen für Mobiltelefone aus. saldo-Messungen zeigen: Auf gewissen Sitzplätzen werden die Passagiere massiv bestrahlt.
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saldo 4/2005
02.03.2005
Marc Meschenmoser
Paul Kistler aus Reichenburg SZ ist als Angestellter der Südostbahn ein häufiger Zugfahrer. Seit drei Jahren schaut er ganz genau, in welches Abteil er sich setzt. «Ich musste häufig den Sitzplatz wechseln, weil ich mich benommen fühlte. Die Strahlung von Handy-Antennen bereitet mir besonders im Bus und im Zug gesundheitliche Probleme. Das geht bis hin zu Sehstörungen.»
Dass elektrosensible Menschen so stark auf die Strahlung reagieren, erstaunt nicht: In geschlossenen Räu...
Paul Kistler aus Reichenburg SZ ist als Angestellter der Südostbahn ein häufiger Zugfahrer. Seit drei Jahren schaut er ganz genau, in welches Abteil er sich setzt. «Ich musste häufig den Sitzplatz wechseln, weil ich mich benommen fühlte. Die Strahlung von Handy-Antennen bereitet mir besonders im Bus und im Zug gesundheitliche Probleme. Das geht bis hin zu Sehstörungen.»
Dass elektrosensible Menschen so stark auf die Strahlung reagieren, erstaunt nicht: In geschlossenen Räumen wie im Zug müssen Mobiltelefone mit maximaler Leistung senden, um Signale empfangen zu können. Deshalb lassen die SBB seit drei Jahren von Swisscom, Sunrise und Orange kleine Handy-Antennen in die Abteile der Intercity-Doppelstockzüge einbauen - sogenannte Repeater, die das Signal verstärken und Daten sowie Gespräche an Aussenantennen leiten.
Repeater strahlen auf Kopfhöhe der Passagiere
Die Repeater befinden sich in den oberen Abteilen bei jeder zweiten runden Sitzbank, genau über dem Kopf der Reisenden. So werden auf den Strecken St. Gallen-Zürich- Bern-Genf oder Basel-Aarau- Chur Passagiere zum Teil über vier Stunden bestrahlt - auch jene, die gar nicht mobil telefonieren. saldo hat geprüft, wie stark die Hochfrequenzstrahlung ist, und beauftragte dafür die MPA Engineering aus Effretikon ZH mit Messungen; die Firma misst seit 30 Jahren Elektrosmog, unter anderem für die Kantone Thurgau und Zürich.
Strahlungsgrenzwert für Handy-Antennen gilt in der Bahn nicht
Morgens um 7.30 Uhr, der Zug zwischen Zürich und Bern ist voll besetzt - im Businessabteil der 1. Klasse laufen die Handys heiss. Direkt unter der Antenne auf der Sitzbank sitzt eine Frau: Sie wird während der 58-minütigen Fahrt mit durchschnittlich 1,73 Volt pro Meter (V/m) bestrahlt - maximal sendet die Antenne gar 6,22 V/m. Sensible Personen reagieren bei solchen Werten mit Kopfweh, Konzentrationsschwierigkeiten oder Schweissausbrüchen. Zudem ist die Belastung höher als der gesetzliche Grenzwert für Orte mit empfindlicher Nutzung, der bei 5 V/m liegt. Doch der Bund hat bei der Bahn eine Ausnahme gemacht: Handy-Antennen dürfen zehnmal stärker senden.
Mit 12,15 V/m strahlt ein anderer Repeater im gleichen Zug praktisch doppelt so stark. MPA-Messleiter Josef Peter: «Bei solch hoher Strahlung wird das Blutgewebe im Kopf erwärmt.» Konkret öffnet sich die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor schädigenden Stoffen aus dem Blutkreislauf schützt. Reisende, die sich dieser Gefahr nicht aussetzen wollen, setzen sich am besten möglichst weit weg von den Sitzbänken mit Mobilfunkantenne: Über den ganzen Zug verteilt beträgt die Strahlung im Schnitt noch 1 V/m.
Pendler zwischen Zürich und Luzern können sich dem Elektrosmog nicht so leicht entziehen: Die Experten massen im 2.-Klasse-Abteil selbst 4 Meter von der Antenne entfernt durchschnittlich 3,37 V/m - der Maximalwert lag gar bei 6,78 V/m. Noch höher waren die Werte im Intercity Luzern- Zürich: Volle 16,35 V/m betrug die Höchststrahlung am Kopf auf der 1.-Klasse-Sitzbank; die permanente Belastung ergab 9,31 V/m, selbst wenn in naher Umgebung niemand telefonierte.
Zum Vergleich: Wer mit dem Handy telefoniert, hat kurzfristig 15 bis 40 V/m am Ohr. Peter relativiert aber, dass die Belastung dabei aufs Gespräch beschränkt sei, «bei den Repeatern hingegen werden Passagiere in der Nähe bei Handy-Betrieb permanent bestrahlt».
Konfrontiert mit den hohen Messwerten, heisst es bei den SBB, dass geltende Grenzwerte klar unterschritten werden. Sprecher Roland Binz: «Nach aktuellem Stand der Wissenschaft besteht bei solchen Werten keine Gefährdung der Gesundheit der Reisenden.
Zudem ist der Aufenthalt in Zügen wie von Luzern nach Zürich kurz.» Alfred Walz, Naturwissenschafter der Uni Bern, sieht das anders: «Es ist unverantwortlich, Passagiere mit solch hohen Werten zu bestrahlen. Viele Betroffene haben bereits ab 0,2 V/m gesundheitliche Probleme.»
Neigezüge: Keine Repeater - praktisch kein Elektrosmog
Dass es auch ohne Antennen im Abteil geht, zeigen die SBB selbst: In den Neigezügen gibt es keine Repeater, dennoch kann dank eines Kabels in der Decke einwandfrei mobil telefoniert werden. Die Messung auf der Strecke Yverdon-Basel bestätigt: praktisch kein Mobilfunk-Elektrosmog. Diese Lösung sei aus Platzgründen in den Doppelstockzügen nicht möglich, sagen die SBB. Auch in Regionalzügen befinden sich keine Antennen; hier sendet das Handy am Ohr einfach stärkere Signale, belastet dafür nicht alle Mitfahrenden.
Experte Peter fordert, dass Antennen aufs Minimum reduziert nicht mehr auf Kopfhöhe montiert werden - doch die SBB überlassen das Problem den Mobilfunkfirmen. Peter: «Bis die Bahn Elektrosmog Ernst nimmt, tun Passagiere gut daran, Sitzplätze unter der Antenne zu meiden.»
«Mehr Migräne beim Zugpersonal»
Die SBB könnten in Zügen Antennen aufstellen, die so stark strahlen wie eine 20 Meter hohe Handy-Antenne im Freien. Denn der Bundesrat hat die Bahn nicht als Ort mit empfindlicher Nutzung eingestuft - der Grenzwert ist zehnmal höher. Jürg Baumann, höchster Strahlenwächter beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft: «Nur eine Minderheit der Passagiere verbringt täglich mehrere Stunden im Zug.»
Das Bahnpersonal ist täglich dem Elektrosmog ausgesetzt. Ein SBB-Zugchef gegenüber saldo: «Wir arbeiten in diesem Strahlenumfeld täglich acht Stunden. Migräne und Müdigkeit haben beim Zugpersonal klar zugenommen.»
Die SBB wollen nichts wissen von einer Reduktion der Strahlung, etwa mit speziell gekennzeichneten Wagen für Handy-Benutzer. Sprecher Roland Binz: «Wir wollen die Möglichkeit der Fahrgäste nicht einschränken, mobil zu kommunizieren.»
Die Belastung für Passagiere und Personal wird weiter ansteigen: Die SBB überlassen der Swisscom bis September weitere 35 einstöckige Intercity- und 40 Doppelstockwagen, um Antennen fürs kabellose Surfen im Internet einzubauen. Binz bestätigt: «Wir bauen das Angebot auch in Zukunft aus.» Dies sei im Interesse der Kunden. Von den Telekomanbietern bestehe zudem die Zusicherung, dass nur Technologien angewendet würden, welche die «geringstmögliche Belastung für Reisende zur Folge haben».
Ob das genügt, ist umstritten. So empfiehlt das deutsche Bundesland Baden-Württemberg seit Dezember 2004, auf Handy-Antennen in Zügen zu verzichten. Ministerialdirektor Helmut Birn: «Die Anlagen erzeugen eine ständige elektromagnetische Grundbelastung. Repeater in Zügen und Bussen sind deshalb im Regelfall nicht zu empfehlen.»