Monika von Gunten, 40: Tod der Zwillingsschwester
Inhalt
Gesundheitstipp 12/2001
01.12.2001
«Karin war ein Teil von mir»
Am 15. November vor einem Jahr ist meine Zwillingsschwester Karin gestorben. Ich habe drei Geschwister, doch sie war für mich ein ganz besonderer Mensch. Karin war ein Teil von mir. Die starke Verbundenheit fühle ich noch heute.
Karin litt an Gebärmutterhals-Krebs. Sie war überzeugt von Geerd Hamers umstrittener Idee der «Neuen Medizin», die davon ausgeht, dass jeder Krankheit ein Konflikt zugrunde liegt. Als sie diesem Konflikt ...
«Karin war ein Teil von mir»
Am 15. November vor einem Jahr ist meine Zwillingsschwester Karin gestorben. Ich habe drei Geschwister, doch sie war für mich ein ganz besonderer Mensch. Karin war ein Teil von mir. Die starke Verbundenheit fühle ich noch heute.
Karin litt an Gebärmutterhals-Krebs. Sie war überzeugt von Geerd Hamers umstrittener Idee der «Neuen Medizin», die davon ausgeht, dass jeder Krankheit ein Konflikt zugrunde liegt. Als sie diesem Konflikt auf die Spur kam, glaubte sie, dass sie ohne medizinischen Eingriff wieder gesund werden könne. Erst nach einem Jahr voll intensiver Selbstheilungsversuche gelangte sie zur Auffassung, eine Operation könnte nun doch helfen.
Doch das war zu spät. Meine Familie und ich pflegten Karin zu Hause während zweier Monate. In dieser Zeit dachte ich oft, dass sie sterben könnte. Wenn sie sich etwas besser fühlte, hoffte ich jeweils stark, dass sie doch wieder gesund wird. Doch jedem Hoffen folgte ein neuer «Dämpfer». Ich durchlebte Höhen und Tiefen.
Vier Wochen vor Karins Tod war mir klar, dass es keine Heilung mehr für sie gibt. Uns war bewusst, dass wir uns voneinander verabschieden müssen. Es war für mich eine völlig neue Erfahrung, mit dem Sterben konfrontiert zu werden. Karin half mir, indem sie mich auf meine Ängste ansprach. Sie sagte: «Wir müssen darüber reden. Nach meinem Tod haben wir keine Zeit mehr.»
In ihren letzten zwei Wochen grenzte sie sich von uns ab. Sie verbrachte ihre letzten Tage bei ihrer Freundin, die ihr auch fachliche Pflege bieten konnte. Sie wollte mich und meine Familie loslassen und uns helfen, dass wir uns von ihr lösen konnten.
Am Abend vor ihrem Tod verabschiedeten wir uns voneinander im Wissen, dass wir uns nicht mehr sehen würden. Und trotzdem dachte ich: «Heute passiert noch nichts.»
Als dann morgens um sechs das Telefon klingelte, wusste ich sofort, was geschehen war. Im Moment war die Gewissheit, dass sie endlich eingeschlafen war und keine Schmerzen mehr hatte, wie eine Erlösung. Ein schwerer Stein fiel von mir ab. Die monatelange Spannung zwischen Angst und Hoffnung war vorbei.
Dann kam die grosse Trauer. Der Verlust. Sonntage, Festtage, der 40. Geburtstag ohne Karin. Doch bald geriet das Bewusstsein über ihren Tod in den Hintergrund. Der Alltag holte mich ein. Jetzt fehlte mir meine Schwester überall. Ich griff zum Telefon und realisierte plötzlich: Karin ist ja gar nicht mehr da. Sie war meine Anlaufstelle, wenn es Neuigkeiten gab. Wir halfen einander über Frustrationen hinweg, genossen schöne Erlebnisse gemeinsam. Kurz: Wir waren immer füreinander da.
Wir gingen zusammen essen und ins Kino, spielten Tennis und knüpften Kontakte. Wir machten einfach fast alles zusammen. Vielfach mussten wir gar nicht erst reden, wir verstanden uns auch ohne Worte.
Ich bin auch jetzt noch in Kontakt mit Karin. Ich spreche mit ihr und lasse sie an meinem Leben teilnehmen. Das kommt aber nicht in gewohnter Form zurück. Und doch, wenn ich mich daran erinnere, wie lustig wir es oft hatten, habe ich das Gefühl, als sende sie mir diese guten Gedanken. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich Karin intensiv durch ihre Krankheit begleitet habe. Und auch, dass ich mich ebenso intensiv von ihr verabschieden konnte.
Kurz nachdem sie gestorben war, konnte ich anfangs noch ihre Wärme wahrnehmen. Wir behielten sie den ganzen Tag über bei uns. Meine Familie und ich wuschen sie. Wir fühlten, wie sie allmählich kalt und steif wurde. Das war einerseits sehr traurig. Anderseits half es mir zu begreifen, dass sie, so wie sie war, nicht mehr da ist.
Manchmal fragte ich mich, ob ich nicht auch sterben wollte, um bei ihr zu sein. Doch im selben Augenblick wurde mir klar: Ich habe meine Aufgabe auf Erden, meine Familie, meine Freunde! Ich bin gesund und habe grosse Freude am Leben.
Ich muss jetzt lernen, mein Leben selber in die Hand zu nehmen. Diese Lücke kann niemand ausfüllen, obwohl ich eine Familie habe. Ein halbes Jahr lang versuchte ich, diesen Schicksalsschlag allein zu bewältigen. Jetzt besuche ich monatlich eine Kinesiologin. Ich lerne viel über mich und wie ich mit schwierigen Situationen umgehen kann. Ich lerne, mit meiner neuen Lebenssituation zurechtzukommen.
Aufgezeichnet: Fridy Schürch
Trauern: Begleiter auf demWeg durch denSchmerz
- Kontaktstellen:
Dakari, Begleitung in Trauer, Schmerz und Neuanfang, Gewerbestrasse 5, 6330 Cham Tel. 041 741 52 40, Fax O1 767 03 44 dakri@bluewin.ch, www.imemoriam.li/dakri.htm
Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen: Tel. 0848 810 814, www.selbsthilfe.ch
- Bücher zum Thema:
- Jorgos Canacakis: «Ich sehe deine Tränen» Kreuzverlag Stuttgart, Fr. 29.90
- Verena Kast: «Trauern, Phasen und Chancen des psychischen Prozesses» Kreuzverlag Stuttgart, Fr. 29.90
- Elisabeth Kübler-Ross: «Über den Tod und das Leben danach» Silberschnur Verlag, Fr. 19.-